Simone Heilgendorff

Was dürfen wir und was können wir? Oder: Wie geht Proben, Reisen, Kommunizieren und Aufführen im Quartett unter den Restriktionen der Pandemie?

Zwei Konzert-Projekte des Kairos Quartetts (Berlin) für das Festival Zeitströme in Darmstadt im Februar 2021

Vieles ist derzeit nicht wie sonst. Wir kennen uns im Quartett sehr gut und einerseits ist alles ganz vertraut, andererseits schwebt über allem, was wir gemeinsam tun, seit dem Ausbruch der Pandemie etwas Ungewisses und Bedrückendes. Im Oktober 2020 mussten wir am Abend unmittelbar vor einem Konzert absagen, weil einer von uns – selbst zwar negativ getestet – erste Kontaktperson seines mit Corona infizierten Kindes war. Wir hatten es befürchtet: Tagelang mussten wir auf die Test-Ergebnisse warten, haben in dieser Zeit in einem riesigen Saal mit großem Abstand und Masken dennoch geprobt, für den Fall, dass es gut gehen würde. Das war lange, bevor es Schnelltests gab. Enttäuschung!

In dieser Situation wurde unmittelbar klar, wieviel sich auf ein Konzert hin aufbaut, die vorbereitende Spannung und Energie ist immens und geht bei einer solchen Absage schmerzlich ins Leere, verpufft wie nach einer fehlgezündeten Explosion. Wir haben immens viel zu geben, wenn wir ein solches Konzert zusammen vorbereiten und spielen. Mehr noch als andere bedarf die Neue Musik der gemeinschaftlichen Live-Erfahrung vor Ort und lässt sich digital schlechter vermitteln als andere Musik. Wenn Konzerte durch höhere Gewalt ausfallen und durch machtvolle Verordnungen streng kanalisiert werden, greift das tief in unsere Arbeit ein und beeinträchtigt auch unsere Aufführungs-Modi.

Nach 25 gemeinsamen Jahren haben wir im Quartett eine eigene Resilienz entwickelt. Durch viele gemeinschaftliche Projekte gibt es (meist produktive) Routinen, die uns auch jetzt Orientierung geben. Unsere Arbeit geht in Aufführungen und Workshops in die Öffentlichkeit, mit der wir jetzt nur eingeschränkt und seit Monaten weitestgehend über digitale Medien kommunizieren dürfen.

Nach einer mehrmonatigen Zwangsprobenpause beginnen wir im Januar 2021 wieder mit der Probenarbeit. Am 31.1.2021 ist es nach zwei intensiven Probenphasen zu viert mit Abstand zueinander und Masken soweit: Wir reisen nach Darmstadt! Die Veranstalter der Zeitströme werden alle Konzerte im Streaming durchführen, von ihrem angestammten Saal in der Akademie aus. Unsere erste Reise seit Oktober. Zum Schutz vor dem Virus nehmen zwei von uns das Auto, statt wie sonst mit dem Zug zu fahren. Das hat auch Vorteile, so können wir ein zweites Cello mitnehmen. Bei der Pause an der Autobahn-Raststätte graust es: Es ist kahl und leer dort. Später im Hotel ist es auch nicht zum Wohlfühlen: Wir dürfen uns nicht in der Lobby aufhalten, im Gegensatz zu den Bundeswehrsoldaten, die an einem Tisch zusammen spielen.

Am nächsten Tag kommen wir im Gebäude der Akademie an. Alles ist fast menschenleer und wir gehen dort verloren, bis uns eine Studentin abfängt und zum leeren Saal bringt. Wo sonst 100/200 Stühle stehen, sind es jetzt zehn, fest im markierten Bereich platziert. Die Bühne erschreckt uns: Vier Stühle stehen dort mit gefühlt 20 Meter Abstand zueinander. Wir intervenieren, messen nach und gewinnen etwas mehr Nähe. Die Schnecke des Primarius, nach deren Dirigierbewegung wir uns gewöhnlich richten, ist sehr schwach beleuchtet und weit weg. Mit Sharleen und Daniel, deren Stücke wir am nächsten Tag uraufführen werden, können wir gemeinsam arbeiten. Wie schön und (inzwischen) wie ungewohnt! Wir verstehen langsam, dass wir heute Abend nicht nur für ein imaginäres Publikum spielen werden, wie es sonst bei Streaming-Konzerten geschieht, sondern dass sogar ein paar Studierende und Lehrende auf den wenigen markierten Stühlen anwesend sein werden. Ein Geschenk!

Wir haben dann mit großer Intensität gespielt. Kurzfristig entschlossen wir uns zur Moderation, sprechen frei zum imaginären Publikum, um in unsere Arbeit und in die Kompositionen einzuführen.

Unsere Erfahrungen der beiden Konzerte in Darmstadt, auf die ich so viele schriftliche Reaktionen bekam wie nie zuvor, haben uns beglückt und gestärkt. Dass sie möglich waren, gibt Hoffnung. Das Ungewisse wird mit jeder Erfahrung weiter eingehegt und jetzt, wo Impfungen und Schnelltests zur neuen Normalität werden, planen wir unsere nächsten Aufführungen im Jubiläumsjahr, trotz erneut drohender Bevormundung. Dazu bringen wir zum Glück die Resilienz auf, denn die Alternative wäre, in Rückzug und Passivität zu verharren.

 

Zurück zur vorherigen Seite

Zurück zur Übersicht „Virtuelles W&K-Forum“

Foto: Sahereh Astaneh

Simone Heilgendorff ist Musikwissenschaftlerin, Bratschistin und Kuratorin mit Arbeitsschwerpunkten in der barocken Aufführungspraxis sowie der zeitgenössische (Kunst-) Musik mit Schwerpunkt Kammermusik.

www.simoneheilgendorff.net