Marlene Streeruwitz

13. April 2020. Wien.

„Nimm dich zusammen!“ war ihr ins Ohr gezischt worden, wenn sie einen dieser Lachanfälle gehabt hatte. Die wieder waren in der Kirche vorgekommen und waren eine andere Art von Einschlafen gewesen.

Sie rief sich den Satz selber zu. Aber sie konnte sich nur als Ausruferin des Satzs aufrichten. Als Empfängerin sank sie wieder in sich zusammen und hatte alle Gelegenheiten davon in vager Erinnerung. Das war eine dunkel verwehte Galerie ihres Versagens im Sich-Zusammennehmen. Wieder eine Abrechnung, dachte sie. Sie ging durch ihre Wohnung. Ging an der Wohnungstür vorbei. Striff an der Wohnungstür entlang. Sie fühlte sich ein Tier. Eine Katze vor einer versperrten Tür. Ihre Tür war nicht versperrt, aber das Hinausgehen war auch nicht möglich. Die Quarantäneregeln arbeiteten in ihr. Sie konnte fühlen, wie Quarantäneregeln die Tür dämonisierten. Wie sie die Tür verschlossen hielten. Wie sie ihr das Draußen unwirtlich machten. Die Regeln machten sie klein und unbedeutend und das Hinausgehen war zu einer Anstrengung aufgebauscht worden. Die Anstrengung stand vor ihr. Stand um sie. Und gleichzeitig lag sie in Zermürbung zersprungen rund um sie.

Es war dann wieder die Wut. Die Wut nahm sie zusammen. Ihr hübsches, kleines, selbsterobertes Ego hatte wieder einmal begonnen, ihr zuzuflüstern, dass sie doch ohnehin privilegiert sei. Und da wandte sie sich gegen sich selbst und schrie. Sie schrie sich an. Laut und rücksichtslos. Sie war daran, sich in die Situation einzufinden und ihre schlechte Laune über die Welt aufzugeben. Sie war daran, sich in die Reihe der Immer-Glücklichen einzureihen. „Es kommt noch so weit, dass du doch auf facebook gehst und dein Geständnis der Anpassung postest.“ Sie schrie sich an dafür, in ihrer Zermürbung zu denen gehören haben zu wollen, die aus dieser Krise wieder etwas machen konnten. Kurz. Sie hatte zu den Immer-Fröhlichen gehören wollen, die alles richtig finden konnten und immer profitierten. Sie hatte der Versuchung nachgeben wollen, ihrer Lebensarbeit den Rücken zu kehren und sich im herrschenden lockdown-Faschismus zu verlieren. Nur weil es ein bißchen ungemütlich geworden war. Betty war empört über sich. lm Auf- und Abgehen. Sie musste lachen. Sie schnaubte. Sie fand sich selbst schnaubend. Schnaubend vor Wut. Es war wie Schnarchen im Wachsein.


 

Der Textauszug sowie das Zitat auf der Einstiegsseite stammen aus:
Marlene Streeruwitz: So ist die Welt geworden. Der Covid19 Roman. Wien: bahoe books.
Wir danken der Autorin für die Abdruckgenehmigung.

 

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Marlene Streeruwitz arbeitet als freiberufliche Autorin und Regisseurin. Sie lebt in Wien, London und New York.

http://www.marlenestreeruwitz.at