Anja Bachl

Mit Dasein beginnen. Mit Präsenz.

Resilienz

anja bachl halbes gesicht mit tränenam 31.1.2021 auf Instagram, https://www.instagram.com/p/CN2t-A-lC_7/

Verwechseln wir bitte nicht Resilienz mit Resignation. Es ist nicht resilient, erwachsen oder ein Zeichen von sein Leben im Griff haben, einfach weiter tun zu können. Zusehen zu müssen, wie tagtäglich Menschen Hilfe verwehrt wird, wie jeden Tag Menschen de facto sterben, auf Grund von politischen Entscheidungen meist weißer Männer, die gemütlich in stoffgepolsterten Stühlen hocken und Kaffee schlürfen, ist und bleibt Wahnsinn. Etwas dabei zu fühlen, zu merken, wie es in Mark und Bein fährt – das ist eine adäquate Reaktion auf Gräueltaten. Unsere Emotionsfähigkeit und unsere Empathie sind essenzielle Werkzeuge und Wegweiser inmitten einer rhetorischen Konjunktivwelt, in der es ohne Schönreden sooft letztlich um Einzelne und deren Bereicherung geht. Tage nicht in Angriff nehmen zu können, weil man niedergeschmettert ist, das Leuchten nicht sieht und mitfühlt. Daran. Ist nichts falsch. Im Gegenteil. Wut, Traurigkeit, Ohnmacht, das sind wichtige Informationen. Und es wäre so hilfreich, für all dieses adäquate Fühlen ein Ventil zu finden, anstatt abzubrühen und möglichst schnell zur Tagesordnung überzugehen. Ein Ventil finden für die Masse an Betroffenheit. Und aktiv werden. Gespräche führen. Zuzuhören. Aufstehen. Sich zurücknehmen. Sich zusammentun. Ein Ventil finden. Für Gefühlsfähigkeit als einen essenziellen Richtungsweiser für Miteinander.

 

Trauer

anja bachlam 22.6.2020 auf Instagram, https://www.instagram.com/p/CN2twN3l7Mm/

Ich kann Integralrechnung. Ich weiß, was eine Tautologie ist. Und was eine Transsubstantiation. Ich hab ein Rinderherz seziert und mir dadaistische Gedichte ausgedacht. Ich kann die lateinische Inschrift in der Sauna übersetzen und ich kann dir sagen, wen Zeus aller vergewaltigt hat. Ach sorry, verführt. Ich weiß, wann Monteverdi gelebt und komponiert und wann er das Zeitliche gesegnet hat. Wir können den Sonnengruß. Aber wir können nicht trauern. Wir können nicht trauern und wir können Trauer keinen Platz geben. Wir haben es nie gelernt, hatten keinen Raum für learning by doing und jetzt sind wir Nackerbatzeln. Harmoniesüchtige Trainierte, deren Königsdisziplin es ist, Ablenkung und Verdrängung hochzustilisieren. Wir haben zehn Jahre lange studiert und sogar uns Geschulten fällt nichts anderes ein, als ein hüllenhaftes „das wird dich stärker machen“. Wow. Wonach ich mich sehne? Nach einem rohen Raum, einem gedachten. In dem der Wind so laut weht, dass der Regen in deine Nasenlöcher hineinkriecht. In dem die Sonne deine Haut so nach Sonnenhaut riechen lässt und alles ganz friedlich ist. Einem Raum, den man immer und überall öffnen kann, der ein Paralleltier ist, das uns begleitet. Ich will weinen können. Und das länger als einen Tag. Ohne, dass wir an Resilienz appellieren, an das Leben muss weiter gehen oder uns in Hilflosigkeit verlieren. Wir könnten mit Dasein beginnen. Mit Präsenz. Mit das Leben als Ganzes umarmen. Wir könnten Umarmungen als Coping Mechanism weglassen und lernen, hinzusehen, in Augen zu sehen und lernen, was Zeit für ein essenzieller Faktor ist. Wir können Integralrechnung, aber scheitern daran eins und eins zusammenzuzählen und zu kapieren, wir sind bis in die feinsten Fasern optimierungsgetrieben. Aber. Who‘s in? Können wir etwas aussortieren von dem ganzen unnützen Zeug und Platz machen für Dinge, die wir erst lernen müssen. Dass Traurigkeit und Trauer und Weinen und Nichtlachen keine Nacktschnecken sind in unserem Garten. Sondern Rosen. Und wenn wir blühen wollen, dann braucht es auch den Wolkenbruch. Und den Nieselregen. Und den Schnürlregen. Lasst uns klug sein und keine Klugscheißer*innen.

 

Zurück zur Übersicht „Virtuelles W&K-Forum“

Anja Bachl

Anja Bachl arbeitet als ganzheitliche Kunsttherapeutin und freischaffende Künstlerin in und um Salzburg.
Sie ist Mutter eines 13jährigen Sohnes.

Die hier veröffentlichten Texte hat sie zunächst auf Instagram veröffentlicht.

Dort schreibt sie unter dem Namen „mitunterdas“ über ihren Alltag als Alleinerziehende, pflegende Familienangehörige, Frau und Therapeutin. https://www.instagram.com/mitunterdas/

Die Bloggerin wurde für ihre Texte am 8. März 2021 mit dem von Stadt und Land Salzburg vergebenen Irma von Troll-Borostyáni-Preis ausgezeichnet. (https://www.stadt-salzburg.at/index.php?id=59748)