Tina Heine und Mario Steidl

Let’s play Jazz …

Der Begriff der Resilienz ist in Verbindung mit der derzeitigen Corona-Situation ein grenzwertiger, ein gefährlicher Begriff. Er hat per se nichts Schöpferisches und auch nichts Solidarisches, er ist zutiefst auf das Individuum ausgerichtet – als eine Strategie, um Widerstandskraft gegenüber einer Situation zu entwickeln, mit dieser umzugehen, sich daran anzupassen und sie möglichst unbeschadet zu überstehen. Resilient zu sein bedeutet demnach aber möglicherweise auch, sich mit einer Situation abzufinden, ohne diese zu hinterfragen und verändern zu wollen. Tatsächlich beobachten wir dieses Bemühen um Resilienz an vielen Orten und bei vielen AkteurInnen. Uns selbst eingeschlossen. Man möchte da irgendwie durchkommen. Und dass es bald vorbei ist.

Eine der Legitimationen für die Förderung von Kultur liegt in ihrer gesellschaftsformenden, gestaltenden, utopischen Kraft – als Gegenidee zur bestehenden Ordnung, als kritischer Kontrapunkt und als hörbare Stimme. Besteht demnach nicht die Aufgabe von KünstlerInnen und Kulturschaffenden jetzt darin, alternative Diskurse zu den umstrittenen Corona-Maßnahmen anzubieten, wachsendem Rechtsextremismus und Demokratie-gefährdenden Tendenzen künstlerische Positionen entgegenzuhalten?  Doch: wo sind WIR? Haben wir verlernt, uns Räume zu suchen und uns Raum zu nehmen? Brauchen wir Theater, Clubs, Opernhäuser und Museen für künstlerische Äußerungen? Können wir nur noch in Bühnen und Sitzreihen, White Cubes und Festivals denken? Was ist mit den Straßen, den Fenstern, den Rathäusern, den Parks, den Bahnhöfen und leeren Fußballfeldern? Bleibt die einzige Antwort auf das fehlende Live-Erlebnis der Stream auf dem heimischen Sofa?

Die Kultur kommt in unserer Gesellschaft oft nicht gut weg: Schon vor der Krise bedeutete Kulturarbeit für viele Menschen, aus Idealismus chronisch unterbezahlt zu arbeiten. Kulturinstitutionen und VeranstalterInnen unterliegen der Logik von Auslastung und Umwegrentabilitäten und stehen häufiger im Wettbewerb zueinander als kollegial zu agieren. Subventions- und Antragskunst binden KünstlerInnen und Kulturschaffende an politische Strategien und Agenden (sofern es welche gibt) und erhalten damit vielleicht künstlich ein System aufrecht, das mit seinen Niedriglöhnen das Prekariat fördert und in dem immer auch das Momentum der Abhängigkeit steckt.

In unseren Kultureinrichtungen sind wir noch immer weit entfernt von gleichberechtigten geschlechtergerechten Arbeitsbedingungen oder einer signifikanten Anzahl von Frauen in leitenden Positionen. Auch auf den Bühnen oder vor den Kameras dieser Welt sind die Frauen noch deutlich unterrepräsentiert oder ungleich bezahlt.

Unser ökologischer Footprint lässt zu wünschen übrig. Noch immer lassen wir unsere KünstlerInnen und Ensembles mit engem Terminplan durch die Welt touren. Wir ermöglichen selten die Chancen, dass sie an den Spielorten verweilen und in Beziehung treten könnten, mit dem Publikum oder anderen lokalen KünstlerInnen, mit den Städten. Auch kooperieren wir programmatisch noch zu wenig mit benachbarten Festivals oder Spielstätten. Zu wichtig sind uns die Exklusivität des Programms, der Premiereneifer und die richtigen Kommentare in den Medien.

Haben wir eventuell schon vor der Corona Pandemie Resilienz entwickelt? Wollen wir gar nicht sehen, dass wir selbst auch Mitschuld tragen an dem bestehenden System? Muss die Kunst in Zeiten wie diesen dieses System nicht viel radikaler hinterfragen, umbauen und neugestalten, anstatt resilient zu werden und auszuharren, bis wir wieder in die alten Formen zurückkehren können?

Und – positiver formuliert: Sollten wir nicht viel mehr mit dieser ungewöhnlichen Situation spielen, auch wenn uns gerade nicht danach ist? Wenn nicht jetzt, wann dann könnten wir Neues denken? Wo sind wir wirklich frei? Wo werden wir neu? Wie finden wir andere Wege der Zusammenarbeit? Wenn das Gegenteil von Resilienz die Verwundbarkeit ist, dann sollten wir vielleicht überlegen, ob es gut wäre, verwundbar zu sein. Vielleicht ist es gerade die eigene Verletzlichkeit, die uns für das sensibilisiert, was wir nicht aushalten sollten: die schreienden Ungerechtigkeiten in dieser Welt, die Einsamkeit, die im Digitalen entsteht. Um das zu verändern, um von den Dingen, die wir uns nicht erklären können, berührt zu sein, braucht es auch in dieser Zeit analoge Entsprechungen zu den digitalen Räumen. Die müssen wir finden und uns nehmen, um wieder zueinander in Beziehung zu treten.

Wir wissen, dass wir handeln müssen, weil wir die Verletzungen spüren, die durch die Covid-Krise noch sichtbarer werden. Und entdecken dabei vielleicht, dass wir die Werkzeuge dazu in den Händen halten – weil wir KünstlerInnen und Kulturschaffende sind. Und weil wir ein Team sein könnten. Ein improvisierendes Kollektiv:

Vielleicht steckt eine Antwort auf die Krise tatsächlich eher im Jazz als in der Idee der Resilienz?

Weil der Jazz für Improvisation steht und die Improvisation ein Weg aus der Krise sein kann. Nicht weil sie das Ende der Krise herbeiführt, sondern weil sie in der Lage ist, mit der Krise zu spielen. Kompetent, voller Neugierde, Vertrauen und Zuversicht.

 

Zurück zur Übersicht „Virtuelles W&K-Forum“

Tina Heine ist künstlerische Leiterin von Jazz & The City in Salzburg und des zeitgenössischen Kunst- und Performancefestivals Supergau. In Hamburg betreibt sie eine Bar und ist Dozentin am Institut für Kulturmanagement der Hochschule für Musik und Theater.

https://tina-heine.de

Mario Steidl verbrachte seine ersten Berufsjahre als Koch sowohl in den Bergen als auch auf hoher See und schloss danach ein Studium der Kommunikationswissenschaft ab. Seit 2004 ist er künstlerischer Leiter des Jazzfestivals Saalfelden sowie des Kunsthauses Nexus in Saalfelden, in welchem er auch die Bar betreibt.

www.jazzsaalfelden.at