Dorit Ehlers

Aus dem nichtgeschriebenen Corona-Tagebuch

irgendwann im Dezember: ein Telefonat mit einer Freundin über aktuelle Gedanken, innere Aufräumarbeiten. Sie sagt: „Es klingt irgendwie blöd, aber für mich bist du der Inbegriff von gelebter Resilienz.“ Bin etwas verwirrt und gehe danach auf Google. Wenn es dabei um mich gehen soll, dann möchte ich eine genauere Definition. Ich stoße auf eine Wifi-Seite mit Hinweisen zum Kursangebot „Persönlichkeit und Resilienz.“ Hier stehen die sogenannten „7 Säulen“: Optimismus – Akzeptanz – Lösungsorientierung – Opferrolle verlassen – Verantwortung übernehmen – Netzwerke aufbauen – Zukunft planen. Und auch: „Resiliente Menschen gelten als fröhlich, ausgeglichen, kreativ und anpassungsfähig. Sie verfügen über einen starken Charakter und einen großen Freundeskreis.“ Klingt ja schön.

irgendwann im Januar: ein Anruf meiner Mutter, sie erzählt, dass sie immer wieder darauf angesprochen wird, wie es mir wohl gehe. Die Kunstbranche sei ja besonders betroffen. Ich sage ihr, sie könne antworten, dass es mir gut geht. Ich sei schwierige Phasen gewöhnt und besser als andere vorbereitet auf unvorhergesehene Situationen.

irgendwann im letzten Sommer: Mir geht es tatsächlich gut. Nichts von dem, was ich ab März geplant hatte, konnte stattfinden, dafür haben sich jede Menge andere Projekte ergeben. Mein Berufsprofil ist wie für diese Krise gemacht: Ich bin freischaffend, flexibel, gut vernetzt und entwickle gern Projekte außerhalb von Bühnen, in eigenen Formaten und vorzugsweise im öffentlichen Raum; mache mir gern Gedanken über auftauchende Themen und über ihre Umsetzung, mag aktuelle Anregungen und Herausforderungen, die in Neuland führen. Alles von Vorteil, um trotz Pandemie-Maßnahmen nicht unbeschäftigt, unausgefüllt und unbezahlt zu sein. Also: gut eingespielt. Resilient …?!

In normalen Zeiten bin ich Teil des künstlerischen Prekariats. Unterbezahlt, unterbewertet, übersehen. Alles, was mich jetzt bestens für die Krisensituation ausstattet, ist für mich Alltag: auf aktuelle Umstände reagieren, immer wieder neu. Nie wissen, was kommt, das ständige Risiko von Leerzeiten in Kauf nehmen … jahrelang trainiert. Ohne Wifi-Kurs. Sondern „freie Theater-Szene“. Als bewusste Entscheidung. Ich habe irgendwann meinen Satz dazu gefunden: „Ich leiste mir den Luxus, mit wenig auszukommen.“ Der Luxus ist die Selbstbestimmung. Wider alle Umstände. Nicht, um diese zu halten.

mehr oder weniger jetzt: Nachdenken über Resilienz. Die „7 Säulen“ können schon gut sein, aber allein als Vorbereitung auf Krisensituationen? Störungsverarbeitungskompetenz als Motivation? Ein Überlebens-Kit für miserable Zustände? Danke, nein.

Die ursprüngliche Materialherkunft des Begriffs Resilienz bringt es besser auf den Punkt: Sich nicht wegdrücken lassen, immer wieder da sein und seinen Raum einnehmen; wenn er eng wird, fordert das Material den Raum wieder ein, stur und nicht unbedingt stumm. Und was ist das Material, das dies kann? Nicht kleinzukriegende Lust am Tun, am Denken, am Mitteilen, Austauschen, Aufnehmen, Umsetzen, Schaffen, Erfinden, …  Dafür braucht es Raum. Um den geht es gerade, besonders jetzt, nicht um Resilienz.

 

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Dorit Ehlers
Foto: Eva Zagorova für Sommerszene 2019

Dorit Ehlers ist Schauspielerin und Theatermacherin in Salzburg.

www.ohnetitel.at