Mit Mutters Würmern türmen. Zum Podiumsgespräch mit Claudia Simma und Esther von der Osten
Beitrag von Marlen Mairhofer
Liest man einen Text Hélène Cixous’ auf Deutsch, stammt die Übersetzung mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit aus der Feder von Claudia Simma oder Esther von der Osten. Von einigen wenigen Ausnahmen abgesehen, sind sie die beiden einzigen Übersetzerinnen von Cixous’ Werk ins Deutsche. Am 07. Oktober 2021 fand unter dem Titel Schreiben, das heißt übersetzen ein Gespräch zwischen ihnen statt, in dem sie anhand ausgewählter Beispiele Übersetzungsentscheidungen reflektierten und Einblick in ihre Arbeit mit, am und im Cixous’schen Sprachkosmos gaben. Diesem öffentlichen Teil des Zusammentreffens gingen Korrespondenzen, Gespräche und gegenseitige Lektüren voraus, im Zuge derer sich jene Leitmotive formierten, die später den Verlauf des Podiumsgesprächs strukturieren sollten: Cixous’ Bezug zum Deutschen, der Sprache ihrer Mutter und Großmutter, die sich von frühester Kindheit an ihrem Gehör einprägt; die Cixous’ Person und Werk eigene Transgressivität, die zu übersetzerischer Freiheit auffordert und nach dieser verlangt; die Schwierigkeit, die Polysemie einer Autorin zu übertragen, die erst in den letzten Jahrzehnten auch im deutschsprachigen Raum vermehrt rezipiert wird. Tours und vers, zwei Wörter, die stellvertretend für zahleiche weitere stehen, deren Vieldeutigkeit und wechselnde Rollen im Textgefüge nicht auf einen Begriff zu bringen sind, dienten als Ausgangspunkte in die schwindelerregenden Höhen und die mitunter unheimlichen Tiefen der beiden so sprechenden Sprachen Deutsch und Französisch.
Über Hélène Cixous zu sprechen ist schwer. |
la tour: Turm (von Babel), Hochhaus, Tower |
Über Hélène Cixous zu sprechen ist leicht. |
Schwer, weil man nicht weiß, wo anfangen und wo aufhören, wie viel erklären, wie viel dem Missverstehen |
Leicht, weil man sich nur den Signifikanten überlassen muss, leicht, weil die Vorstellung, dass es so etwas Ernstes wie |
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(dem eigenen, dem der anderen) preisgeben, wie mit den zahlreichen Widersprüchen |
le voile: Schleier, Tuch la voile: Segel voler: stehlen |
Wahrheit gäbe, zum Fenster hinausfliegt, sich hinausstielt, hinaussegelt und sich genüsslich verschleiert. |
umgehen, vor die sie ihre Leser*innen stellt, indem sie sich widerspricht, ohne sich dafür zu rechtfertigen. |
Leicht, weil man, mit Cixous im Ohr, sprechen lernt wie die Kinder – spielend. |
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Schwer, weil man sich den Signifikanten anvertrauen muss, umso schwerer, als es eine Sprachbarriere gibt zwischen dem Französischen, in dem sie schreibt, und dem Deutschen, in dem ihre Deutsch sprechenden Leser*innen sie rezipieren. |
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In Spalten zu schreiben ist nichts Neues. Es dient nicht, oder kaum, dazu, die Lesenden zu verärgern. Cixous hat es getan, Derrida hat es getan, es ist also im schlechtesten Fall nicht mehr als ein Formzitat. Im besten Fall ist es eine Denkhilfe |
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le tour: Umdrehung, (Rede-)Wendung, Streich, Kunststück | die sich schon daraus ergibt, dass manchmal die Seite gewechselt |
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werden muss, um den Sinn eines Satzes im Ganzen zu erfassen. Sie sind aufgefordert, die Spaltung, die die Spalten mit sich bringen, zu überwinden, die Lücke oder den trennenden Strich. |
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se tourner vers: sich etw./jdm. zuwenden |
Die Lücke, der Strich, die Differenz, die sich an dieser Stelle auch auf Französisch und mit a schreiben ließe, könnte der Ort sein, an dem eine Bedeutung entsteht, die sich weder auf der einen noch der anderen Seite in ihrer ganzen Dimension fassen lässt (– ‚in ihrer ganzen Dimension‘ ohnehin nie). |
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Hélène Cixous übersetzen ist schwer. Was nicht bedeutet, dass es keinen Spaß machte, dass man sich nicht ab und zu in den Text schummeln könnte wie ein Lausbub, dass es nicht so etwas wie den textimmanenten Auftrag gäbe, Streiche zu spielen. |
sommier: |
Hélène Cixous übersetzen ist leicht. Was nicht bedeutet, dass es keine schwierigen Passagen gäbe – schwerwiegende, beschwerende, das Übersetzen erschwerende Passagen, die Passage erschwerende Sätze. |
Die Ökonomie des Übersetzens bedingt, dass immer zu wenig Zeit bleibt. Das perfekte Wort hat oft ein langes Leben als Lücke geführt, bevor es sich findet, gern auch nach Abgabetermin |
vers: Vers, Würmer, gegen, auf etw./jdn. zu; zu etw./jdm. hin | Zunächst gesetzte sind im Grunde nur zukünftig gestrichene Anführungszeichen |
Alles ist | übersetzbar | ist kein einziges Wort. |
Die Korrespondenz zwischen den Sprachen wie auch zwischen den Sprecherinnen Claudia Simma und Esther von der Osten – eine Doppelung, in der freilich immer schon Dritte und Vierte mitmischen, die also nur die vereinfachte Form einer potenziell endlosen Vervielfachung darstellen kann – sollte hier weder bloß wiedergegeben (es handelt sich nicht um Zitate) noch effekthascherisch re-inszeniert werden. Die obige Reflexion ist gespalten, um nicht der Versuchung zu erliegen, die Doppelung aufzulösen und den Zwischenraum zu verschließen, der sich im Zuge des Gespräch und seiner Vorbereitung geöffnet hat. Sie nutzt das zugegeben nicht neue, aber vielleicht zu erneuernde Mittel des Schreibens in Spalten (eine, wenn man so möchte, graphische ‚Figuration des Übergangs‘), die einander ergänzen, widersprechen und ins Wort fallen können, Art und Reihenfolge ihrer Lektüre aber letztlich den Lesenden anheimstellen.
Bildnachweise:
Manuskriptseite aus Hélène Cixous: La Ville parjure ou Le Réveil des Erinyes (uraufgeführt 1994), Übersetzung von Esther von der Osten: Die meineidige Stadt oder Das Erwachen der Erinyen (Edition AVL, 2020). Foto: Hélène Cixous (Manuskript), Edition AVL (dt. Übersetzung), Théâtre du Soleil (franz. Drucktext)
Finnisches Metallbett, Finnisches Nationalmuseum, 2008, Foto: Wikipedia/Pasixxxxx
Editorial Peer Review
Rechte: CC-BY 4.0
Empfohlene Zitierweise: Marlen Mairhofer: „Mit Mutters Würmern türmen. Zum Podiumsgespräch mit Claudia Simma und Esther von der Osten“, in: Figurationen des Übergangs, Jg. 2021, S. 1-4. DOI: 10.25598/transitionen-2021-5 <https://transition.hypotheses.org/743>