Glücksparlament Wohnen

Das Labor „Glücksparlament Wohnen“ ist ein künstlerisch forschendes, prozesshaft angelegtes Projekt, in dem im Zeitraum von Juni 2020 bis Juni 2022 im Rahmen verschiedener Interventionen und unter Einbezug unterschiedlicher gesellschaftlicher Akteur:innen Diskursräume zu Fragen demokratischer Mitbestimmung eröffnet wurden. Dabei wurde ausgelotet, wie im Speziellen künstlerisch-forschende Formate und Strategien zur Beteiligung an (politischen) Entscheidungen am Beispiel des Themas Wohnen in Salzburg aussehen können.

„Reden ist Silber – Mitbestimmen ist Gold!“

Am 22.6.2020 wurde unter dem Motto „Reden ist Silber – Mitbestimmen ist Gold!“ via Pressemitteilung zur Beteiligung an einem Bewohner:innen-Parlament mit verlosten Sitzen aufgerufen (Aufruf als PDF). In der Salzburger Trafik Ecke Franz-Josef-Straße/Paris-Lodron-Straße wurde ein Glücksautomat aufgestellt, um mittels Losverfahren potenzielle Parlamentarier:innen zu ermitteln. Die Verlosung war als Rollenspiel inszeniert: Mitglieder des Programmbereichs Zeitgenössische Kunst und Kulturproduktion schlüpften in verschiedene und wechselnde Rollen. Als Glücksfee, Manager:in, „Schlepper:in“, Assistenz der Trafikantin, Beobachter:in, Sozialwissenschafter:in, Fotograf:in – luden sie Passant:innen dazu ein, ihre jeweilige Perspektive auf das Thema Wohnen in Salzburg zu schildern und ein Los zu ziehen. Darüber hinaus wurden alle stattfindenden Prozesse dokumentiert und reflektiert.

gruppe frauen in trafik 2 frauen im gespräch auf gehsteig vor trafik frau vor trafik

Stadtplan mit QR-Codes

Ausgehend von aus der Trafik-Intervention hervorgehenden Erkenntnissen und Erfahrungen war geplant, den Glücksautomaten in weiteren, möglichst breit über die Stadt Salzburg verteilten Trafiken aufzustellen, um auf diese Weise möglichst viele unterschiedliche Bewohner:innen Salzburgs zu erreichen und zur Beteiligung am Glücksparlament zu motivieren. Im Herbst 2020 sollten dann im Rahmen einer öffentlichen Veranstaltung ein Austausch zwischen Bewohner:innenparlament und Politik stattfinden. Covid-19-bedingt konnte das nicht auf diese Weise stattfinden.

Um vielfältige Meinungen und Stimmen zu dem Thema dennoch sicht- und hörbar zu machen, wurde anstelle der angedachten Diskussionsveranstaltung ein dezentrales Format gefunden. Es wurden Audio-Aufnahmen gesammelt, in denen in Salzburg lebende Menschen, ihre Sichtweisen auf das Thema Wohnen darlegen und Anliegen formulieren konnten. Die entstandenen Audios wurden als QR-Codes auf einem Stadtplan von Salzburg – der sowohl online veröffentlicht als auch als Printversion in der Stadt verteilt wurde – platziert und können dort nach wie vor abgerufen werden.

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Baustelle Salzburg. Künstlerische Forschung durch Spielentwicklung

Vor dem Hintergrund der Idee, solche Wohnanliegen von in Salzburg lebenden Personen in die Entwicklung von Spielregeln zu integrieren, um auf diese Weise neue Denk-, Möglichkeits- und Handlungsräume zu eröffnen, entstand schließlich das künstlerisch-forschende Projekt „Baustelle Salzburg“. Von Jänner bis April 2022 führte Sonja Prlić dazu insgesamt vier Workshops durch: mit internationalen Studierenden des Studiengangs „Applied Theatre“, Verkäufer:innen der Straßenzeitung Apropos, Mitarbeiter:innen des Bewohner:innenservice Lehen sowie Mitgliedern des alternativen Wohnprojekts Glockmühle. Das Spiel Carcassonne diente dabei als Orientierungsrahmen, im Wesentlichen waren die Teilnehmer:innen aber frei, ihre Wünsche an ein gerechteres Wohnen – in der Tat war der Aspekt der Gerechtigkeit in allen Workshops zentral – in Spielregeln zu gießen. Die entstandenen Regeln wurden gesammelt, die Entwicklungsprozesse im Rahmen einer begleitenden Forschung aus der Perspektive der Teilnehmer:innen sowie mittels teilnehmender Beobachtung dokumentiert und reflektiert.

W&K-Forum

Was schert mich deine Wohnungsnot?

Der Dokumentation und Reflexion aller Interventionen kam in diesem Projekt – im Sinne seiner prozesshaften Anlage – insgesamt große Bedeutung zu. Einen vorläufigen Abschluss fand es schließlich in einem W&K-Forum, das am 8. Juni 2022 unter dem Titel „Was schert mich deine Wohnungsnot?“ stattfand. Für fünf Stunden wurde der Ladenleerstand der ehemaligen Kerzenfabrik Nagy zu einem offenen Ort – einem Bürger:innen-Parlament. An drei Stationen – an der Theke, an einem Spieltisch und in einem Bierbankparlament – wurden das solidarische Zusammenleben in Salzburg befragt, Salzburg als Stadt neu erfunden und ganz grundsätzlich nach antiken/neuen Formen der politischen Einmischung geforscht.

Geht es auch anders? Geht es gerechter? Geht es für alle? Geht es jetzt?

In diesem Parlament wurde gespielt, gesungen, geredet, getrunken, geschaut, gehorcht, ge… .

Mit dabei waren Verkäufer:innen von APROPOS – Straßenzeitung für Salzburg, Mitglieder des APROPOS Chors, Mitarbeiter:innen des Bewohner:innenservice Lehen und Taxham, Studierende der Masterstudien Applied Theatre (Universität Mozarteum Salzburg) und Kommunikationswissenschaft (PLUS), Mitglieder des Wohnprojekts Glockmühle, Nicht organisierte Alleinerzieherinnen in Salzburg, Mitarbeiter:innen des Frauennotrufs Salzburg sowie von VinziDach – Housing First Salzburg und viele weitere Interessierte, „die’s schert“.

Wer lud ein?
Programmbereich Zeitgenössische Kunst- und Kulturproduktion/WohnLABOR:
Marcel Bleuler, Spezialist für teures Wohnen (Paris Lodron Universität)
Ulrike Hatzer, Spitzensportlerin in der Disziplin Siedeln (Applied Theatre, Universität Mozarteum)
Sonja Prlić, Expertin für Wohnen an Hauptstraßen, S-Bahnen und Einflugschneisen (gold extra und Wissenschaft & Kunst)

 

Rollenspiel im Glücksparlament Wohnen

Wie können nun im Speziellen künstlerisch-forschende Formate und Strategien zur Beteiligung an (politischen) Entscheidungen am Beispiel des Themas Wohnen in Salzburg aussehen? – Einige Möglichkeiten wurden im Rahmen der vier Teilprojekte erprobt. Dabei kristallisierte sich das Rollenspiel in unterschiedlichsten Facetten als spannender Zugang heraus und veranlasste uns als Projektteam, das im Projekt entstandene Material im Hinblick auf Möglichkeiten, die es eröffnet, zu befragen. – Die Ergebnisse aus diesem Prozess zeigen wir im Rahmen eines eJournal- Beitrags: https://www.p-art-icipate.net/gluecksparlament-wohnen/

Katharina Anzengruber, Ulrike Hatzer, Sonja Prlić