Fragen, die das Klima berühren – und die Wissensformen, die damit einhergehen – sind nicht nur überall, sondern auch so vielfältig und wandelbar wie das Phänomen, um das sie kreisen. Auf der Straße (im Aktivismus), an der Hochschule (im Seminarraum), im Alltag (am Küchentisch) oder in den Künsten (im Museum) lässt sich beobachten, wie Begriffe, Zahlen, Denkfiguren und Weisen der Welterzeugung von den Klimawissenschaften in neue Bezirke wandern und dort, übersetzt und überschrieben, eigene Bedeutungen annehmen. Zum Beispiel das Einskommafünfgradziel, das sich – als hypothetische Größe aus den Computermodellen von Klimaforschenden kommend – an einer Klimakonferenz in Paris zur politischen Größe verfestigte, zu einer der wichtigsten Forderungen der Klimastreiks und zum Gegenstand klimapolitischer Parlamentsausschüsse avancierte und einer Ausstellung ihren Namen gab. Eher selten wird untersucht, welche Lesarten von Klimadingen mit dieser Metamorphose wissenschaftlicher Dinge einhergehen. Dem Anliegen dieser Veranstaltungsreihe folgend wäre zu fragen, welche ‚climate literacies‘ dabei im Spiel sind und was wohl exemplarische Orte und Forschungsmaterialien wären, um diese ‚literacies‘ untersuchen und diskutieren zu können. Für unseren Beitrag ist die Wahl auf den Ausstellungsraum gefallen: auf künstlerische Arbeiten, die – ob malerisch, performativ, konzeptuell, forschend – den Faden der Klimadinge in sich aufnehmen und das Publikum zu bestimmten Lesarten der Klimaproblematik anregen, anleiten, ablenken oder anstrengen. Wir begeben uns beobachtend und spekulierend in eine einzelne Ausstellung hinein und wollen an diesem Abend gemeinsam ein Ensemble an Fragwürdigkeiten durchspielen: Wie gelangen wissenschaftliche und künstlerische Dinge im Ausstellungsraum zueinander? Welche Elemente eines Klimawissens werden in den künstlerischen Arbeiten mitverhandelt? In welchen Modi der Affirmation oder der Kritik geschieht dies? Welche Fähigkeiten des Bezugnehmens, Schauens, Hörens, Deutens werden uns abverlangt, wenn wir die Arbeiten mit Sinn versehen wollen? Was gibt es hier zu verstehen? Welche Prämissen bezüglich der Rolle der Künste im Klimadiskurs stehen mit im Raum? Welche Formen der Nachdenklichkeit über klimatisch-kulturelle Problemzusammenhänge, die weit über die Künste hinausreichen, können wir im Rundgang durch die Ausstellung kultivieren? Welche Interpretationsspielräume bezüglich des Begriffs der ‚climate literacies‘ tun sich dabei auf? Und wo ist Platz fürs Subversive?
Barbara Preisig lehrt und forscht an der Zürcher Hochschule der Künste. Letzte Veröffentlichungen: The Tour: A Close Listening (Third Text, 2024); Sit, Talk, Silence. Andrea Fraser’s «This meeting is being recorded» at Luma Foundation (Brand-New-Life, 2023); mit Laura von Niederhäusern & Jürgen Krusche (Hg.): Trading Zones. Camera Work in Artistic and Ethnographic Research (Berlin: Archive Books, 2022).
Kris Decker forscht und lehrt an der Universität Luzern. Neuere Arbeiten: Maschinen unter Druck (St. Gallen/Berlin: Vexer, 2022); Exkursion ins Hinterland (Merkur, 2020); mit Christoph Hoffmann: Training Scenes: Taking Science Studies to the Classroom (Social Studies of Science, 2023).
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Konzept: Caitríona Ni Dhuill, Romana Sammern
Bildnachweis: Werkstation Korallen, Kunsthalle Mannheim, Publikumswerk, Sept. 2023, Foto: Kris Decker