Geboren/gemacht. Schöpfungskonzeptionen der Romantik zwischen Kunst, Magie und Technik
Woher kommt das Leben? Welches Leben kann die Kunst (als ars oder als techne) hervorbringen? Und wer muss man sein (oder: was muss man können), um in der Kunst und durch die Kunst Leben hervorzubringen, muss man dazu geboren sein oder wird man dazu gemacht? Der Vortrag untersucht an einigen wichtigen literarischen Figurationen – E.T.A. Hoffmanns Automat (Der Sandmann, 1816), Mary Shelleys Monster (Frankenstein, 1818), Goethes Homunculus (Faust II, 1832) – Parallelen zwischen Ideen von Kunst und Künstlerschaft und der Hervorbringung von Neuem. Und was macht das Neue, wenn es dann einmal da ist? Die Literatur der Romantik gibt darauf sehr skeptische Antworten.
Werner Michler ist Professor für Neuere Deutsche Literatur an der Universität Salzburg und Co-Leiter des Programmbereichs „Figurationen des Übergangs“. Er studierte Germanistik und Philosophie an der Universität Wien, wo er sich 2012 habilitierte. Neben Lehr- und Forschungsaufenthalten in Wien, Oxford, Münster, Berlin war er 2017-2019 Präsident der Österreichischen Gesellschaft für Germanistik (ÖGG). Er ist wissenschaftlicher Leiter des Franz Werfel-Programms des ÖAD und hat zahlreiche Funktionen in Institutionen des literarischen Lebens inne. Zu seinen Forschungsinteressen zählen die Theorie und Geschichte der literarischen Gattungen, Literatur und Naturwissenschaft, österreichische Literatur, Geschichte und Theorie der literarischen Übersetzung, Grundfragen der Poetik sowie literarische Bildung.
Zur Ringvorlesung
Seitdem Pygmalion die von ihm gemachte Statue durch sein Begehren mit göttlicher Hilfe verlebendigte, beschäftigen sich die Künste mit der Materialität des menschlichen Körpers zwischen Leben und Tod, Natürlichkeit und Künstlichkeit, Verlebendigung und Animismus. An Pygmalion und insbesondere an Galatea reflektieren sie sich in ihrem Kunststatus und in ihrem mimetischen Programm auch selbst. Pygmalions hypermimetisches Bild ist dabei vielleicht zugleich höchste Herausforderung wie schmählichste Kapitulation gegenüber der schärfsten Konkurrentin der Kunst, der Natur. Die Ringvorlesung verfolgt den Mythos, seine Tradierungen und seine Schichten der (Un-)Sinngebung von der Antike und bis in die Gegenwart. Ausgehend von der Meistererzählung Ovids und verwandter bildhafter Verwandlungen wie die von Narziss oder der Propoetiden geht es um künstlich hergestellte Statuen, die lebende Körper imitieren (die in der imaginativen Sphäre der Literatur oder Kunst selbst künstlich sind).
Die Ringvorlesung fragt nach dem Verhältnis des Körpers als materielles, unbelebtes Artefakt und als lebendiges Subjekt. Die künstlichen Objekte imitieren lebende Körper, sie können gesehen und berührt werden. Die Instrumente ihrer Wahrnehmung sind die Körper der Betrachter. In der Pygmalion-Variante des Typus durchläuft das materielle, unbelebte Körperobjekt eine Metamorphose, die es zu einem lebendigen Körpersubjekt macht, das freilich die Sphäre der künstlerischen Imaginiertheit nicht zu überschreiten vermag. Der Übergang zwischen dem Körper als (materielles) Objekt und als (handelndes) Subjekt ist fließend. Im Rahmen der Ringvorlesung werden Vertreter*innen der verschiedensten kulturwissenschaftlichen Disziplinen diese Spannung von Nachahmung und Beseelung, Imagination und Materialität, Körper und Körperfiktion, nicht zuletzt aber auch die Genderfrage zwischen Schöpfung und Schöpfenden beleuchten.
Zeit / Ort: 22. März bis 21. Juni 2023, jeweils am Mittwoch 11.15 bis 12.45 Uhr, Unipark Nonntal, Erzabt Klotz-Str. 1, HS 3 Georg Eisler (E.003)
Konzeption, LV-Leitung: Manfred Kern, Romana Sammern
Bildnachweis: Jean-Léon Gérôme (1824–1904): Pygmalion und Galatea, um 1890. Öl/Leinwand, 88,9 × 68,6 cm. The Metropolitan Museum of Art, New York. Foto: The Metropolitan Museum of Art