ÖFFENTLICHE RINGVORLESUNG "Pygmalion". Künstliche Körper und lebende Statuen in den Künsten

Martina Feichtenschlager: Si wunder wol gemachet wîp – die wunderschön geschaffene Frau. Der Pygmalion-Mythos in der mittelalterlichen Literatur

Die Vorlesungseinheit widmet sich der Wahrnehmung und Rezeption des Pygmalion-Mythos in der Literatur des Mittelalters. Neben expliziten intertextuellen Verweisen auf den Mythos, wie das z. B. im altfranzösischen Rosenroman des Guillaume de Lorris und Jean de Meun der Fall ist, gibt es auch implizite Bezugnahmen auf Pygmalion. Ein in mehrfacher Hinsicht exzeptionelles Beispiel stellt Walthers Preislied Si wunder wol gemachet wîp („diese wunderschön geschaffene Frau“ L 53,25) dar. Der Text eröffnet ein Spannungsfeld zwischen weiblicher Schöpfung und männlichem Künstler – es ist aber (anders als bei Ovid) eine textuell geformte und erschaffene „schöne Frau“. Es geraten Potentiale der Darstellung von weiblicher Schönheit und männlicher Schöpferkraft in den Blick. Bestimmte rhetorische Beschreibungsmuster spielen dabei ebenso eine Rolle wie das Einnehmen einer bestimmten Blickrichtung auf den Frauenkörper. Inwiefern lässt sich das Verhältnis zwischen dem Dichter und seiner Schöpfung als ein begehrliches begreifen? Welche Rolle nimmt Gott in diesem Spannungsfeld ein? Und welche der (mittelalterliche oder neuzeitliche) Rezipierende? Diese und noch weitere Fragen an den Text sollen im Zuge der Vorlesungseinheit zur Sprache kommen.

Martina Feichtenschlager, Dr. phil., Universitätsassistentin an der Paris-Lodron-Universität Salzburg. Sie studierte Germanistik, Kommunikationswissenschaft und Vergleichende Literatur- und Kulturwissenschaft und promovierte 2013 zum Thema „Entblößung und Verhüllung. Inszenierungen weiblicher Fragilität und Verletzbarkeit in der mittelalterlichen Literatur“. Die Arbeit wurde 2014 mit dem Erika-Weinzierl-Preis ausgezeichnet und erschien 2016 bei Vandenhoeck und Ruprecht in der Reihe „Aventiuren“. Schwerpunkte ihrer wissenschaftlichen Forschung sind neben der Beschäftigung mit narrativen Körperentwürfen und Genderkonzepten in der mittelalterlichen Literatur auch Autorschafts- und Autorinszenierungen des Mittelalters.

 

Zur Ringvorlesung

Seitdem Pygmalion die von ihm gemachte Statue durch sein Begehren mit göttlicher Hilfe verlebendigte, beschäftigen sich die Künste mit der Materialität des menschlichen Körpers zwischen Leben und Tod, Natürlichkeit und Künstlichkeit, Verlebendigung und Animismus. An Pygmalion und insbesondere an Galatea reflektieren sie sich in ihrem Kunststatus und in ihrem mimetischen Programm auch selbst. Pygmalions hypermimetisches Bild ist dabei vielleicht zugleich höchste Herausforderung wie schmählichste Kapitulation gegenüber der schärfsten Konkurrentin der Kunst, der Natur. Die Ringvorlesung verfolgt den Mythos, seine Tradierungen und seine Schichten der (Un-)Sinngebung von der Antike und bis in die Gegenwart. Ausgehend von der Meistererzählung Ovids und verwandter bildhafter Verwandlungen wie die von Narziss oder der Propoetiden geht es um künstlich hergestellte Statuen, die lebende Körper imitieren (die in der imaginativen Sphäre der Literatur oder Kunst selbst künstlich sind).

Die Ringvorlesung fragt nach dem Verhältnis des Körpers als materielles, unbelebtes Artefakt und als lebendiges Subjekt. Die künstlichen Objekte imitieren lebende Körper, sie können gesehen und berührt werden. Die Instrumente ihrer Wahrnehmung sind die Körper der Betrachter. In der Pygmalion-Variante des Typus durchläuft das materielle, unbelebte Körperobjekt eine Metamorphose, die es zu einem lebendigen Körpersubjekt macht, das freilich die Sphäre der künstlerischen Imaginiertheit nicht zu überschreiten vermag. Der Übergang zwischen dem Körper als (materielles) Objekt und als (handelndes) Subjekt ist fließend. Im Rahmen der Ringvorlesung werden Vertreter*innen der verschiedensten kulturwissenschaftlichen Disziplinen diese Spannung von Nachahmung und Beseelung, Imagination und Materialität, Körper und Körperfiktion, nicht zuletzt aber auch die Genderfrage zwischen Schöpfung und Schöpfenden beleuchten.

 

Zeit / Ort: 22. März bis 21. Juni 2023, jeweils am Mittwoch 11.15 bis 12.45 Uhr, Unipark Nonntal, Erzabt Klotz-Str. 1, HS 3 Georg Eisler (E.003)

Konzeption, LV-Leitung: Manfred Kern, Romana Sammern

Bildnachweis: Jean-Léon Gérôme (1824–1904): Pygmalion und Galatea, um 1890. Öl/Leinwand, 88,9 × 68,6 cm. The Metropolitan Museum of Art, New York. Foto: The Metropolitan Museum of Art

Impressionen "Ringvorlesung: Pygmalion. Künstliche Körper und lebende Statuen in den Künsten: Martina Feichtenschlager", 19.4.23

Foto: Romana Sammern