Die vielfältigen Formen der Rezeption des Pygmalion-Mythos, wie sie in den Beiträgen dieser Ringvorlesung untersucht werden, verstellen meist den Blick auf die ihnen mittelbar oder unmittelbar zugrunde liegende Erzählung in Ovids Metamorphosen. In dieser Einheit soll der Versuch unternommen werden, die Rezeption auszublenden und zu fragen, wie sich Ovids Erzählung in textnaher Lektüre verstehen lässt.
Dorothea Weber hat in Wien Klassische Philologie und Klassische Archäologie studiert, sich ebendort mit einer kritischen Edition eines Frühwerks von Augustinus für Latinistik habilitiert und ist, war 2003 und 2004 Gastprofessorin an der Univ. Graz und ist seit 2012 Professorin für Latein an der Universität Salzburg.
Seitdem Pygmalion die von ihm gemachte Statue durch sein Begehren mit göttlicher Hilfe verlebendigte, beschäftigen sich die Künste mit der Materialität des menschlichen Körpers zwischen Leben und Tod, Natürlichkeit und Künstlichkeit, Verlebendigung und Animismus. An Pygmalion und insbesondere an Galatea reflektieren sie sich in ihrem Kunststatus und in ihrem mimetischen Programm auch selbst. Pygmalions hypermimetisches Bild ist dabei vielleicht zugleich höchste Herausforderung wie schmählichste Kapitulation gegenüber der schärfsten Konkurrentin der Kunst, der Natur. Die Ringvorlesung verfolgt den Mythos, seine Tradierungen und seine Schichten der (Un-)Sinngebung von der Antike und bis in die Gegenwart. Ausgehend von der Meistererzählung Ovids und verwandter bildhafter Verwandlungen wie die von Narziss oder der Propoetiden geht es um künstlich hergestellte Statuen, die lebende Körper imitieren (die in der imaginativen Sphäre der Literatur oder Kunst selbst künstlich sind).
Die Ringvorlesung fragt nach dem Verhältnis des Körpers als materielles, unbelebtes Artefakt und als lebendiges Subjekt. Die künstlichen Objekte imitieren lebende Körper, sie können gesehen und berührt werden. Die Instrumente ihrer Wahrnehmung sind die Körper der Betrachter. In der Pygmalion-Variante des Typus durchläuft das materielle, unbelebte Körperobjekt eine Metamorphose, die es zu einem lebendigen Körpersubjekt macht, das freilich die Sphäre der künstlerischen Imaginiertheit nicht zu überschreiten vermag. Der Übergang zwischen dem Körper als (materielles) Objekt und als (handelndes) Subjekt ist fließend. Im Rahmen der Ringvorlesung werden Vertreter*innen der verschiedensten kulturwissenschaftlichen Disziplinen diese Spannung von Nachahmung und Beseelung, Imagination und Materialität, Körper und Körperfiktion, nicht zuletzt aber auch die Genderfrage zwischen Schöpfung und Schöpfenden beleuchten.
Zeit / Ort: 22. März bis 21. Juni 2023, jeweils am Mittwoch 11.15 bis 12.45 Uhr, Unipark Nonntal, Erzabt Klotz-Str. 1, HS 3 Georg Eisler (E.003)
Konzeption, LV-Leitung: Manfred Kern, Romana Sammern
Studierende können in PlusOnline bzw. MozOnline die Ringvorlesung unter der LV-Nr. 901.356 belegen.
Bildnachweis: Jean-Léon Gérôme (1824–1904): Pygmalion und Galatea, um 1890. Öl/Leinwand, 88,9 × 68,6 cm. The Metropolitan Museum of Art, New York. Foto: The Metropolitan Museum of Art