Antje Klinge: Wieviel Körper braucht die (Lehrer*innen)Bildung?
Auch wenn in der Geschichte der Pädagogik der Körper, respektive Leib, als Fundament des Lernens „mit allen Sinnen“ (Montessori) zugrunde gelegt wurde und aktuell in der Erziehungswissenschaft eine Aufwertung durch „pädagogische Perspektiven auf eine Phänomenologie des Leibes“ (Brinkmann et al., 2019) erfährt, bleibt seine Thematisierung im Kontext von Lernen und Bildung eher eine Randerscheinung. Im Vortrag soll die Bedeutung des Körperlichen in der (Lehrer*innen)Bildung aus einer biografischen und fachkulturellen Perspektive beleuchtet werden. Dabei steht das Wechselspiel zwischen individuellen Erfahrungen und gesellschaftlicher Rahmung dieser Erfahrungen im Mittelpunkt. Lernen wird insofern als körperlich-leibliche Erfahrung verstanden, die immer schon sozial vorstrukturiert ist und das Fühlen, Denken und Handeln prägt. Die Wirkmächtigkeit des Körpers im Hinblick auf Lern- und Bildungsprozesse zeigt sich besonders deutlich im Feld des Sports. Inwiefern der Körper sowohl an der Herstellung und Reproduktion fachkultureller Selbstverständlichkeiten beteiligt ist als auch an ihrer Infragestellung, Reflexion und Modifikation, soll an Beispielen aus der Sportlehrer*innenbildung aufgezeigt und in ihrer Übertragbarkeit auf andere Fachkulturen zur Diskussion gestellt werden.
Anna Maria Kalcher: Bewegungsbetontes Lernen – Impulse aus der Elementaren Musik- und Tanzpädagogik
Inter- und transdisziplinäres Arbeiten ist in der Elementaren Musik- und Tanzpädagogik substanziell. Im Mittelpunkt dieser Konzeption stehen kreative Zugänge, um Ausdrucksmöglichkeiten in Musik, Tanz und Sprachkunst zu differenzieren. Von zentraler Bedeutung ist dabei die Bewegung, welche Wahrnehmungs- und Verstehensprozesse initiiert und begleitet. Im Beitrag werden fachdidaktische Überlegungen zu einem bewegungsbetonten Lernen vorgestellt und anhand ästhetischer Praxen der Elementaren Musik- und Tanzpädagogik illustriert. In diesem Kontext wird der Stellenwert von Bewegung und somatischer Arbeit verdeutlicht, der sich sowohl in aktuellen Projekten als auch in der Entwicklungsgeschichte des Fachbereichs widerspiegelt. Die Bewegungsorientierung zeigt sich dabei sowohl im künstlerischen Tanz als auch im Elementaren Musizieren, insbesondere im Improvisieren und in multimodalen Aneignungsprozessen. Dass Bewegung in hohem Maße beiträgt, Lehr- und Lernarrangements sowie kreatives Denken und Handeln zu bereichern, lässt sich anhand von Erkenntnissen, wie sie u.a. aus der Embodied Cognition oder leibbezogenen Ansätzen vorliegen, stützen. Ausgehend von Ansätzen der Elementaren Musik- und Tanzpädagogik werden Möglichkeiten diskutiert, die ein bewegungsbetontes Lernen eröffnet.
Daniel Rode
Körperlichkeit, Leiblichkeit und Bewegung gelten in der Sportpädagogik als fundamentale Dimensionen des menschlichen Selbst-, Anderen- und Weltbezugs sowie von Lernen und Bildung. Vor dem Hintergrund aktueller gesellschaftlich-kultureller Entwicklungen werden diese Dimensionen häufig in Kontrast oder gar als Gegensatz von Medien und Digitalität verhandelt. In der Vorlesung soll demgegenüber eine alternative Perspektive veranschaulicht werden. An einem Forschungsbeispiel aus dem Bereich der digitalen Selbstvermessung (Fitness-Tracking) wird die Körperlichkeit/Leiblichkeit dieses Medienhandelns aufgezeigt. Es wird besprochen, inwiefern sich die verkörperten Dynamiken der Verstrickung von Mensch, Technik und Daten, die dieses Medienhandeln auszeichnen, als Lernen respektive Bildung interpretieren lassen und welche Konsequenzen sich für Schule und Lehrer*innenbildung aufwerfen lassen.
Antje Klinge, Prof. Dr., ist Lehrstuhlinhaberin für Sportpädagogik und Sportdidaktik an der Ruhr-Universität Bochum. Nach 1. und 2.Staatsexamen für das Lehramt Sek. I und II war sie an verschiedenen sportwissenschaftlichen Instituten (Düsseldorf, Dortmund, Gießen) als Dozentin für Gymnastik/Tanz und wissenschaftliche Mitarbeiterin in der Sportpädagogik tätig. 1998 promovierte sie mit einer Arbeit über „Körper und Gewalt“ und habilitierte sich an der Ruhr-Universität Bochum mit einer Schrift zu „Körperwissen“. Sie war von 2007-2017 Vorstandsmitglied des Bundesverbands Tanz in Schulen (heute Aktion Tanz), von 2006-2010 Kuratoriumsmitglied von Tanzplan Deutschland, von 2013-2021 im Expertenrat für Kulturelle Bildung und ist 2021 in die Ethik-Kommission des Dachverbands Tanz Deutschland berufen worden.
Anna Maria Kalcher, Univ.-Prof.in Mag.a Dr.in forscht und lehrt an der Universität Mozarteum Salzburg. Sie promovierte und habilitierte sich im Fach Musikpädagogik und verfügt über eine langjährige Kunst- und Unterrichtspraxis in diversen Settings. 2017 wurde sie auf die Professur für Elementare Musik- und Tanzpädagogik berufen und ist seither stellvertretende Leiterin des Orff Instituts. 2021 erfolgte die Bestellung zur Leiterin der SOMA – School of Music and Arts Education. Ihre Forschungs- und Arbeitsschwerpunkte sind: Kreativität, musik- und tanzbezogenes Lernen über die gesamte Lebensspanne sowie Inter- und Transdisziplinarität.
Daniel Rode, Ass.-Prof., Dr. phil., geboren 1984, absolvierte ein Lehramtsstudium (1. Staatsexamen) in den Fächern Sport, Englisch und Bildungswissenschaften an der Johannes-Gutenberg-Universität Mainz, schloss 2018 die Promotion in Fachgebiet Sportpädagogik an der Philipps-Universität Marburg ab, ist seit 2020 Assistenzprofessor für Sportpädagogik und -didaktik am Fachbereich Sport- und Bewegungswissenschaft der Paris-Lodron-Universität Salzburg, arbeitet gegenwärtig an seiner Habilitation zu „(Post-)Digitalität als Thema der Sportpädagogik und -didaktik“, ist Mitverantwortlicher zweier Salzburger Bildungslabore zu den Themen „Emotionen im Bewegungs- und Sportunterricht“ sowie „Demokratie im Bewegungs- und Sportunterricht“, forscht u.a. zu „Sportunterricht im Internet“ und ist Mitbegründer des Forschungsnetzwerks „Qualitative Forschung in der Sportwissenschaft“. https://www.researchgate.net/profile/Daniel-Rode
Die Ringvorlesung diskutiert Gestaltungsdimensionen von Bildung. Sie wendet sich insbesondere an alle Lehramtsstudierenden sowie an alle Studierenden und Lehrenden, die an aktuellen disziplinüberschreitenden Gestaltungsfragen von Bildung als Formgebungsprozess interessiert sind. Die hier verhandelten Themen verstehen sich als Beitrag zu einer interdisziplinär angelegten Bildungsforschung. Die Veranstaltung ist eine Kooperation der Salzburger Bildungslabore, eines Projektes von Universität Salzburg und Pädagogischer Hochschule Salzburg, und des Programmbereichs Figurationen des Übergangs der Interuniversitären Einrichtung Wissenschaft & Kunst zwischen Universität Salzburg und Universität Mozarteum. Beide Einrichtungen operieren jeweils an den Schnittstellen von Universität und Schule sowie Wissenschaft und Kunst.
Alle Studierenden erleben unabhängig von ihrer Disziplin einen Bildungsprozess. In der Ringvorlesung sind deshalb auch die Auswirkungen des hochschulischen Erkenntnisprozesses für die Lehrer*innenausbildung, die hochschulische Ausbildung und die hochschulischen Prozesse insgesamt zu beleuchten. Dazu sollen Vertreter*innen der Bildungs- und Erziehungswissenschaften, der Wissenschaftsforschung und Philosophie, Literaturwissenschaften und Ästhetik, Physik und Sportwissenschaften, Kunstgeschichte und Geschichtswissenschaften sowie der Fachdidaktiken zu Wort und ins Gespräch kommen.
Zeit / Ort: 2. März bis 22. Juni 2022, jeweils am Mittwoch 17.00 bis 18.30 Uhr, Unipark Nonntal, Erzabt Klotz-Str. 1, HS 3 Georg Eisler (E.003)
Konzeption, LV-Leitung: Ulrike Greiner, Werner Michler, Fabio Nagele, Romana Sammern
Bildnachweis: André-Henri Dargelas (1828–1906): Le tour du monde (Ausschnitt). Öl/Leinwand, 46 x 37,5 cm. Privatsammlung.