Spätestens seit Foucault wird die medizinische Klinik als Schauplatz konkurrierender Belange verstanden. Ebenso verhält es sich mit den sich darin befindenden Körpern der Patienten und Patientinnen. Um 1900 wurde ein neuer Stil der Klinikarchitektur entwickelt, die medizinische Räume entlang einer fragmentierten Körperauffassung konzipiert: Sie differenziert den Körper nach seinen physiologisch-funktionellen Einzelsystemen. Im Zuge dessen eröffneten im ersten Jahrzehnt des neuen Jahrhunderts in und um Wien zahlreiche neue Kliniken, darunter 1908 die I. und II. Universitäts-Frauenkliniken und 1910 das Niederösterreichische Landes-Zentralkinderheim, das später die berühmte Semmelweis Frauenklinik beherbergen sollte. Im Fokus der Veranstaltung stehen die Dokumentation zur Auflösung der Frauenmilchbank in der Semmelweis Klinik von Irini Athanassakis in Kooperation mit Berg Hammer Film (2020) sowie Ausschnitte des Aufklärungsfilms Hygiene der Ehe von Erwin Junger (1922), der die realen, klinischen Orte in eine fiktive Rahmenhandlung zu Gesundheit und Reproduktion einbindet.
Der Artist Talk befragt die im Mittelpunkt dieser Kliniken befindlichen Körper der Mütter und die physiologischen Prozesse rund um die Schwangerschaft (Gebären, Stillen usw.) sowie ihre symbolische Signifikanz in soziopolitischen, wirtschaftlichen, ästhetischen und nicht zuletzt medizinischen Kontexten.
Die Veranstaltungsreihe Physiologie diskutiert Visualisierungen physiologischer Konstitutionen und ihre Rolle für die Genese, Transformation und Verbreitung von Wissen (u.a. künstlerisches, medizinisches, naturkundliches, technologisches) entlang von konkreten körperlichen Prozessen: Zeugen, Gebären, Altern, Sterben, Verdauen.
Organisation, Konzeption: Romana Sammern
Bildnachweis: Irini Athanassakis: Frauenmilchbank, Semmelweisklinik, Mai 2019