RINGVORLESUNG

FIGURATIONEN DES ÜBERGANGS – ÜBERGÄNGE ZWISCHEN KUNST UND LEBEN

Seit die Künste auf ihrer Autonomie beharren, stellt sich die Frage nach der Beziehung von „Kunst“ und „Leben“. Bis in die Gegenwart werden Debatten geführt, ob das Werk des/der Künstler*in von seinem/ihrem „Leben“ – ihren Taten, Ansichten, Verfehlungen – getrennt betrachtet werden kann, soll oder muss (aktuell: der Streit um den Literaturnobelpreis 2019). Andererseits kritisiert – nach Peter Bürgers „Theorie der Avantgarde“ (1974) – die künstlerische Avantgarde die bürgerliche Institution Kunst und strebt die „Überführung von Kunst in Lebenspraxis“ an. Zu diesen klassischen Fragestellungen kommt in jüngerer Zeit eine weitere: Nicht nur ist jeweils auszuhandeln, was „Kunst“ ist, auch das „Leben“ ist eine problematische Kategorie zwischen Biologie, Ökonomie und Gesellschaft, die sich heute wissenspoetologisch und wissenschaftshistorisch befragen lassen muss. Dieses Spannungsfeld möchte die Ringvorlesung – die erste in einer Reihe, die sich den „Figurationen des Übergangs“ widmet – ausloten. Die einzelnen Beiträge versuchen, paradigmatisch Stationen der Problematik Kunst/Leben im 20. Jahrhundert nachzuzeichnen; sie reichen von der Frage des Realismus in den Künsten über die künstlerische Auseinandersetzung mit den Topoi der Lebenswissenschaften bis zur „Fruchtbarkeit“ im mehrfachen Sinn.

 

17.6.2020 ONLINE VORTRAG

Christopher F. Laferl (Salzburg): Biographische Authentizitätsforderungen und Minderheitenstatus in Literatur und Kunst

Bis vor Kurzem hätte man behaupten können, dass jene Kunstschaffenden, die in einer Gesellschaft viel Macht haben, alles künstlerisch „behandeln“ dürfen, während sich alle anderen auf die Darstellung der eigenen Erfahrungen zu beschränken hätten. In der Diskussion rund um die Frage der (kulturellen) Aneignung „fremder“ Erfahrungen ist dieses künstlerische Monopol weitgehend (erfolgreich?) hinterfragt worden, sodass z. B. nun auch weiße heterosexuelle Männer nicht mehr so einfach über weibliche, homosexuelle oder nicht-weiße Lebenswelten schreiben können. Diese Diskussion macht einmal mehr deutlich, wie stark die Forderung nach Authentizität in den Künsten die Rede über Kunst und Literatur und v. a. über die Kunstschaffenden (nach wie vor?) beherrscht. Die Vorlesungseinheit möchte dieser Frage anhand des Schaffens von literarisch Schreibenden, die als Angehörige von Minderheiten gesehen wurden, nachgehen, und zwar wie sehr diese literarisch Schreibenden auf ihren Minderheitenstatus in der Bewertung ihres Werks reduziert wurden und vielleicht immer noch (oder gerade wieder) werden. Im Zentrum werden Beispiele aus der latein- und angloamerikanischen Literatur der ersten beiden Drittel des 20. Jahrhunderts stehen.

Christopher Laferl ist Professor für Iberoromanische Literatur- und Kulturwissenschaft an der Universität Salzburg. Weitere Informationen: https://www.uni-salzburg.at/index.php?id=30574

 

Konzeption, LV-Leitung: Hildegard Fraueneder, Werner Michler

Bildnachweis: Compagnie Clarance: Voyage au cœur d‘un tableau/Gustave Caillebotte: Les raboteurs de parquet (1875), 2013

Studierende können in PlusOnline bzw. MozOnline die Ringvorlesung unter der LV-Nr. 901.340 belegen.