Interview mit M.

Flucht, Pflege, Resilienz

Wie geht es dir mit der aktuellen Situation?

Seit zweieinhalb Jahren arbeite ich auf der geriatrischen Station eines Krankenhauses. Letztes Jahr im März zu Beginn der Pandemie war es sehr hart. Das Arbeitsklima war sehr belastend, weil wir nicht wussten, was auf uns zukommen würde. Es war für alle anstrengend. Wir hatten Angst. Man musste darauf achten, was man sagt, um die Kollegen und Kolleginnen nicht weiter zu ängstigen. Es war einfach eine neue Erfahrung für jeden. Mit der Zeit – nach dem Lockdown – ist die Situation für alle normaler geworden. Mit den Impfungen ist es jetzt eine ganz andere Erfahrung. Die Angst ist weniger geworden. Anders ist es mit der Quarantäne. Das ist immer noch eine hohe Belastung für das Team, weil wir für die Leute in Quarantäne einspringen müssen. Das belastet mich im Moment, weil wir viele Stunden Mehrarbeit haben und das auf Dauer anstrengend wird. Auch hat man Angst, selber in Quarantäne zu müssen, weil dann die Kolleginnen und Kollegen wieder Mehrarbeit hätten. Meine große Angst ist auch, den Corona-Virus auf die Station zu bringen. Wir hatten seit März keine Ansteckung. Direkt Angst vor dem Virus habe ich aber keine. Der Corona-Virus wird wie jeder andere Virus wahrgenommen.

Wie hast du gelernt, mit den belastenden Situationen im Krankenhaus umzugehen?

Für mich sind belastende Situationen nichts Neues: Am Anfang ist man überwältigt und glaubt, dass es nie mehr gut wird. Aber wenn man sich ein bisschen Zeit lässt und nicht so viel darüber nachdenkt, wird es langsam besser. Was mir zum Beispiel geholfen hat, ist, dass ich die Arbeit bei der Arbeit gelassen und zu Hause nicht mehr darüber nachgedacht habe. Stattdessen habe ich mit meinen Freunden telefoniert. Meine Freundin hat mir auch viel geholfen. Wir haben miteinander über die Situation geredet. Über unsere Gefühle. Sie kommt auch aus der Pflege.

Wie ist es mit den Patient*innen? Bekommt man ihre Angst als Pfleger mit und wie geht man damit um?

Man spürt schon ihre Angst. Es wurden einige gegen Covid-19 geimpft. Wenn sie Angst zeigen, versuche ich immer, empathisch und neutral zu sein, jedoch meine Gefühle nicht zu zeigen. Wir dürfen die Patienten ja nicht anlügen. Manchmal ärgern wir uns aber auch gemeinsam mit den Patienten über die Coronapolitik – so wie wahrscheinlich alle. Das hat auch geholfen: Einfach das Beste aus der Situation machen.

Aber wie macht man das?

Man sollte sich nicht zu viele Gedanken machen, nicht so viel über die Lage und die Konsequenzen nachdenken, sich ablenken: Fernsehen, mit Freunden telefonieren, sich etwas Gutes tun: laufen oder spazieren gehen, Bücher lesen.

Würdest du sagen, dass der Umgang mit der Pandemie eine Frage der Persönlichkeit oder eine Frage der Lebenserfahrung ist?

Die Pandemie ist eine neue Krisensituation: Ich habe oft erlebt, dass erfahrene Männer bei der Arbeit in Tränen ausbrechen. Manche haben Streit gesucht. Manche waren der Belastung nicht mehr gewachsen und haben gekündigt. Es ist schwierig. Aber wir können einander trösten und für das Wenige, das wir gerade haben bzw. machen können, dankbar sein – besonders mit Blick auf die Situation in anderen Ländern wie Spanien oder Italien. Wir haben unser normales Leben, wir können arbeiten. Manchmal ist man aber auch einfach ratlos. Mein Rat ist: Zeit lassen, die Gedanken loslassen, positiv sein.

Hast du das Gefühl, dass deine Fluchterfahrung dich anders mit der Krise umgehen lässt als deine Kolleg*innen?

Ja, schon. Ich gehe schon anders mit der Situation um als meine Kolleg*innen. Ich nehme es lockerer. Gelernt zu haben, dass etwas Schlimmes passieren kann, das man das selbst nicht ändern kann, hat schon geholfen. Meine Kolleg*innen konnten zum Teil nicht schlafen und waren sehr belastet. Wir versuchen einander zu helfen. Mir ist aufgefallen: Ein gutes Privatleben hat große Auswirkungen darauf, wie man mit den beruflichen Belastungen umgeht. Man kann sich gemeinsam von der Situation ablenken.

 

Interview und Transkription: Anita Moser und Romana Sammern

Dopplersteig am Salzburger Untersberg, 2020. Foto: M.

M. arbeitet als Pflegefachassistent in einem Krankenhaus. Er flüchtete 2015 als unbegleiteter Minderjähriger aus Afghanistan und lebt seitdem in Salzburg.