W+K Forum „Handkes Preis“

Unter dem doppelsinnigen Titel „Handkes Preis“ widmete sich ein kurzfristig anberaumtes W&K-Forum am 24. Oktober 2019 den Debatten um die Verleihung des Literaturnobelpreises an Peter Handke. Schon in den ersten Tagen nach der Bekanntgabe der Entscheidung durch die Schwedische Akademie hatten sich zahlreiche Kommentatorinnen und Kommentatoren zu Wort gemeldet, die die Auszeichnung für Handke aufgrund seines Engagements für Serbien und Slobodan Milošević vehement kritisierten. Der Name eines Autors, der Mitte der 1960er Jahre als Provokateur die literarische Bühne betreten hatte, war plötzlich wieder in aller Munde.

So sprach sich etwa der 1978 in Višegrad geborene und 1992 nach Deutschland geflohene Schriftsteller Saša Stanišić in seiner Dankesrede zum Deutschen Buchpreis mit Nachdruck gegen die Verleihung des Nobelpreises an Handke aus. Zugleich nahmen viele AutorInnen Handke in Schutz und wiesen auf die Vielschichtigkeit seiner literarischen Arbeiten sowie die Bedeutung des seit Mitte der 1960er Jahre entstandenen Gesamtwerks hin. Einer großen Anzahl differenzierter Pro- und Contra-Stimmen in führenden Zeitungen (z. B. Sigrid Löffler vs. Paul Lendvai im Falter, Paul Jandl vs. Andreas Breitenstein in der NZZ) standen unzählige Kommentare auf Twitter, Facebook und anderen Plattformen gegenüber, die Handke aufgrund seines politischen Engagements heftig attackierten. Auch Fernsehformate wie Willkommen Österreich oder Neo Magazin Royale griffen das Thema auf. Der Autor selbst hatte in den Tagen und Wochen nach der Bekanntgabe des Preises auf Fragen nach seinem Engagement für Serbien wiederholt unwirsch reagiert: „Ich bin nicht hier für diesen Scheißdreck, um auf diesen Scheißdreck zu antworten. Und jetzt verschwinden Sie sofort, bitte!“

In Zeiten einer aufgeheizten, gerade in den sozialen Medien heftig geführten Debatte sollte das W&K-Forum dazu dienen, die in den Raum gestellten Argumente abzuwägen und kritisch zu prüfen. Unter der Leitung von Karin Buttenhauser (ORF) diskutierten Christoph Bartmann, Direktor des Warschauer Goethe-Instituts und langjähriger Handke-Leser und -Forscher, die in Sarajevo geborene Autorin und Übersetzerin Mascha Dabić sowie die Wiener Germanistin Evelyne Polt-Heinzl. Die Eröffnungsfrage, ob die Diskutanten als Jurymitglieder für Peter Handke votiert hätten, wurde noch einhellig bejaht. In der Folge zeigte sich jedoch, dass Handkes Texte über (Ex-)
Jugoslawien und seine Haltung zum serbischen Nationalismus selbst unter jenen, die sein literarisches Werk schätzen, durchaus für Irritationen sorgen. Einig waren sich alle Beteiligten indes darin, dass eine genaue Lektüre von Handkes komplexen literarischen Arbeiten unbedingt nötig sei, um vorschnelle Einschätzungen und Verurteilungen zu vermeiden.

Leben und Werk lassen sich im Fall Peter Handkes, das wurde im Podiumsgespräch und in der folgenden Diskussion mit dem Publikum deutlich, nicht sinnvoll voneinander trennen. Sein Schreiben bewegt sich von Anfang an im Spannungsfeld von provokativer Einmischung und demonstrativem Rückzug aus der öffentlichen Sphäre. In immer neuen Anläufen, etwa in seiner Rede zur Verleihung des Büchner-Preises 1973, hat Handke über die Frage, wie sich das „Poetische“ und das „Politische“ verbinden lassen, nachgedacht. Auch seine Winterliche Reise zu den Flüssen Donau, Save, Morawa und Drina und deren Sommerlicher Nachtrag, die nach der Publikation 1996 heftige Kritik hervorriefen (etwa von Dževad Karahasan), stehen in diesem Werkzusammenhang. Mit der Verleihung des Nobelpreises an Peter Handke steht nicht zuletzt die Frage nach dem Verhältnis von Literatur und Politik, von künstlerischer Autonomie und gesellschaftlicher Verantwortung, neu zur Disposition. Christoph Bartmann, Mascha Dabić und Evelyne Polt-Heinzl zeigten im Rahmen des W&K-Forums „Handkes Preis“, dass gerade dort, wo öffentliche Debatten zur Eskalation tendieren, die gewissenhafte Stimme und der genaue Blick der Leserinnen und Leser vonnöten sind.

Harald Gschwandtner

Weiterführende Informationen:

https://www.nobelprize.org/prizes/literature/2019/summary/

https://www.suhrkamp.de/autoren/peter_handke_1738.html

http://handkeonline.onb.ac.at/