„Insektensterben“. Ein Bericht und ein paar eigene Anmerkungen

Am 9. Jänner 2020 fand im Rahmen des Programmbereichs „Figurationen des Übergangs“ im interuniversitären Schwerpunkt „Wissenschaft & Kunst“ eine Podiumsdiskussion mit dem Titel Insektensterben statt. Eine Expertin und vier Experten beleuchteten unter der Moderation und Konzeption von Romana Sammern (Salzburg) das Problemfeld der schwindenden Menge und Vielfalt der Insekten aus verschiedenen Blickwinkeln. Peter Berz steuerte die wissenschaftshistorische Dimension bei. Viele Daten zur Beurteilung des langfristigen Trends müssen zwangsweise aus historischen Quellen gewonnen werden, wobei die Arbeitsweise und Zielsetzung der Naturforscher im 19. und frühen 20. Jahrhundert ganz andere waren als jene in der gegenwärtigen, „State of the-Art“-Biodiversitätsforschung. Die Begrifflichkeiten der letztgenannten Disziplin entstanden vielfach erst am Ende des letzten Jahrhunderts und die angewandten statistischen Untersuchungsverfahren sind manchmal nur wenige Jahre alt. Deren Entwicklung wurde vor allem erforderlich, da die Natur der Ausgangsdaten selbst sehr heterogen ist [1].

Hier zeigte dann Jan Habel (Salzburg) durch seine eigenen Untersuchungen, wie sich die Situation der Insektenfauna, im speziellen Fall die der Schmetterlinge, im letzten Jahrhundert entwickelte. Mehrere Langzeituntersuchungen, die sich bereits seit Jahrzehnten mit der Zusammensetzung von Insektengemeinschaften in ausgewiesenen Schutzgebieten befasst haben, kommen alle im Wesentlichen zu den gleichen Schlüssen: Sowohl die Menge als auch die Vielfalt der Arten hat in einem Ausmaß abgenommen, das nicht mehr alleine mit zufälliger, „natürlicher“ Variation erklärt werden kann. Die Menge an Insekten geht also im Verlauf der Jahre „statistisch signifikant“ zurück. Habels Präsentation wurde durch Josef Settele (Halle), der diese Zusammenschau an Fakten um die globale politische Dimension bereicherte, bestätigt. Settele wirkt am Weltbiodiversitätsrat IBPES [2]. Elisabeth Ortner (Salzburg), die Verantwortliche für die Betreuung der Schutzgebiete im Norden Salzburgs, zeigte vor allem die konkreten Probleme, welche sich auf lokaler Ebene durch den Interessenskonflikt zwischen Naturschutz und industrialisierten landwirtschaftlichen Nutzungskonzepten ergeben. Ebenso kamen hier die Grenzen des traditionellen Naturschutzgebiete-Gedankens zur Sprache; Schutzgebiete können bei den typischen Größen in Mitteleuropa fast immer nur eine äußerste Notfallmaßnahme für ein „Schutzgut“ darstellen. Der Architekt Christoph Wiesmayr (Linz) machte Vorschläge für Bauweisen, die auch Insektenarten an der Nutzung teilhaben lassen. Manche Insektenarten wie die Mauerbiene finden in traditionell gemauerten Wänden ihre bevorzugten Nistbedingungen vor; die aktuelle Entwicklung hin zur voll verdämmten Außenwand des Passivenergiehauses drängt diese Arten zunehmend zurück (Die ursprünglichen Habitate dieser Bienenart waren lehmig-sandige Abbruchkanten an Steilwänden oder Flussufern, sie sind noch seltener geworden).

Im 21. Jahrhundert werden die zukünftigen Bruchlinien der industrialisierten menschlichen Zivilisation sichtbar. Die erdgeschichtliche Epoche des „Anthropozäns“ wurde bereits vor fast 20 Jahren ausgerufen [3]. In der Geologie bedeutet das, dass durch menschliche Aktivitäten so tiefgreifende Veränderungen im Ablauf geologischer Prozesse der Erdoberfläche erfolgen, dass sie auch in der Schichtung der Sedimente nachweisbare Signaturen hinterlassen. Diese Spuren werden selbst noch in hunderten Millionen Jahren klar nachweisbar sein. Eine zukünftige intelligente Lebensform könnte hier eine abrupte Änderung rekonstruieren. In der Erdgeschichte sind diese radikalen Phasen des Übergangs in der Schichtung in der Regel auch mit Massensterben in der Biosphäre assoziiert, wie auch jenes am Ende der „Kreidezeit“ [4].

Genau wie das Wissen über den menschengemachten Klimawandel ist auch der Begriff des „Artensterbens“ und damit des Verlusts an Biodiversität durch anthropogene Einflüsse nicht etwas, was erst in den letzten fünf Jahren plötzlich aufgetaucht wäre. Beide Begriffe begleiten uns in der öffentlichen Diskussion bereits seit mindestens einer Generation. Der wesentliche Unterschied zu den 1980ern besteht allerdings darin, dass aufgrund der ungleich besser erfassten Faktenlage kein objektivierbarer Zweifel mehr an der Wahrhaftigkeit der Vorgänge angebracht ist – so ein Konsens unter den Diskutanten.

Aus der besseren Faktenlage ergeben sich zum Beispiel Forschungsergebnisse wie die von Jan Habel: sehr stark in ihrer Lebensweise spezialisierte Arten sind viel stärker von anthropogenem Wandel beeinflusst als „Generalisten“ (man spricht auch von „Kulturfolgern“ oder „Opportunisten“, wenn ihnen anthropogener Einfluss sogar förderlich ist), denen viele verschiedene Nahrungs- und Lebensraumtypen offenstehen. Allerdings ist ein Ökosystem auf ein Netzwerk verschiedener Akteure angewiesen, und manchmal kann die Entfernung einer bestimmten Art ein System an den Rand des Kollabierens.

Was sind hier also die treibenden Faktoren hinter dem Rückgang der Artenvielfalt? Schon vor mehr als 15 Jahren sprach der auch außerhalb der Fachwelt bekannte Ornithologe Peter Berthold über diesen Trend der Landschaftsveränderung, welcher nicht-menschliche Lebewesen, in diesem Fall Vögel, von einer partizipativen Nutzung intensiv bewirtschafteter Flächen ausschließt. Hierbei gebrauchte er den Begriff der „Verlorenen Paradiese“. (Journal für Ornithologie 2003, 144: 385-410). Die Nutzung und Gestaltung der Landschaft nach den Zielvorstellungen und Möglichkeiten der Menschen ist eines der Schlüsselelemente des Artenschwunds, andere Arten werden entweder passiv oder sogar aktiv im Sinne der „Schädlingsbekämpfung“ aus der Landschaft entfernt. Allerdings können scheinbar „naturbelassene“ oder „idyllische“ Landschaften  auch trügen (vgl. dazu auch die Kontaminierten Landschaften Martin Pollacks).

Was können, was müssen wir also tun? Vorweg die gute Nachricht: Wir wissen bereits genug, dass wir sofort handeln könnten, auf mehreren, miteinander verzahnten Handlungsebenen. Manche Phänomene wird man auf regionaler Ebene lösen können, viele andere bedürfen entweder überregionaler Ansätzen oder einer globalen Strategie. Auf regionaler Ebene ist ein Umdenken und Ändern der Landnutzung notwendig, das dazu notwendige Know-how liegt bereits seit mehr als zwei Dekaden vor. Die Intensität der Flächennutzung muss so weit als möglich reduziert, die Verwendung von Hilfsmitteln wie Pestiziden streng überwacht werden. Schutzgebiete sind oft isolierte Oasen in einer artenarmen Wüste, diese Fragmentierung muss, so gut es geht, aufgehoben werden. Letztendlich müssen wir auch unser eigenes Konsumverhalten und unsere Lebensgestaltung kritisch hinterfragen.

Man hört oft das Argument, in Europa könne man, sei es nun in der Klimadebatte oder auch in der Frage des Biodiversitätsrückgangs, gar nichts tun, da die eigentlichen Probleme in China, Indien oder Afrika lägen und wir mit der Umsetzung der geforderten Maßnahmen nur unseren Wohlstand riskierten (vgl. einen am 17.1.2020 erschienenen Kommentar von Eric Gujer in der NZZ: In der Klimapolitik läuft die EU einer Chimäre hinterher).

Gewiss liegt die Zukunft in globalen Lösungen, doch können wir uns nicht so einfach aus der Verantwortung stehlen. Wir sehen dem System unserer Biosphäre beim Entgleisen zu – und haben selber die Weichen dazu gestellt. Auch wenn dieser Vorgang in seiner Langsamkeit für die menschliche Wahrnehmung kaum zu verfolgen ist, wir wüssten, wo anzusetzen wäre, um die Folgen begrenzen zu können. Es ist zu befürchten, dass das erst dann passieren wird, wenn es bereits zu spät ist. Der Journalist Uwe George hat vor etwa 20 Jahren einmal formuliert, er sei sicher, dass die Erde in drei Millionen Jahren von einer Vielzahl von Arten bewohnt sein werde – ob allerdings der Mensch unter ihnen sein werde, sei eine andere und letztlich unerhebliche Frage.

Roman Fuchs

Anmerkungen:

[1] Es gibt inzwischen schon diverse Verfahren, um für bestimmte Fragen sogar Äpfel mit Birnen zu vergleichen, und Schlüsse aus Daten zu ziehen, die im Sinne des landläufigen „Kraut & Rüben“ unordentlich strukturiert sind.

[2] Siehe dazu auch den letzten Bericht von 2019 „IPBES Global Assessment Report for Policymakers“.

[3] Zum Begriff des Anthropozäns sei hier auf die Arbeit von Paul Crutzen verwiesen: Crutzen P. 2002, Geology of mankind, Nature, 415:23 https://doi.org/10.1038/415023a.

[4] Eine kleine Anmerkung der Vollständigkeit halber: Nach landläufiger Meinung fanden an der Kreide-Tertiär-Grenze auch die Dinosaurier ihr Ende auf der Erde. Da aber die Vögel auch aus dieser Tiergruppe stammen und nach wie vor die mit Abstand artenreichste Klasse der Landwirbeltiere darstellen, kann allerdings schwerlich von einem kompletten Aussterben der Dinosaurier gesprochen werden.

 

Weiterführende Links:

Netzwerk Biodiversität Österreich:
https://www.biodiversityaustria.at/

Presseaussendung des Naturschutzbundes Österreich zum Insektensterben (13.2.2020):
https://naturschutzbund.at/newsreader-36/items/das-insektensterben-ein-weltweites-multiples-systemversagen.html

WWF Living Planet Report 2018:
https://www.wwf.at/de/living-planet-report-2018/

IPBES Global Assessment Report for Policymakers: https://ipbes.net/sites/default/files/inline/files/ipbes_global_assessment_report_summary_for_policymakers.pdf

Zur Methodik der Biodiversitätsforschung „ABOL: Austrian Barcode of Life“:
https://www.abol.ac.at/