Forschungsprojekt
Art is a doctor
Interdisziplinäre Erforschung von Chorsingen bei psychisch kranken und sozial unterprivilegierten Kindern und Jugendlichen
Projektteam: Katarzyna Grebosz-Haring, Leonhard Thun-Hohenstein
In Kooperation mit der Universitätsklinik für Kinder und Jugendpsychiatrie Salzburg und der Paracelsus Medizinischen Privatuniversität SALK/PMU, der Universität Wien (Fakultät für Psychologie, Arbeitsbereich Klinische Psychologie des Erwachsenenalters, Music and Health Lab), den Salzburger Schulen und dem Chorus Juventus der Wiener Sängerknaben
Das Zitat „Art is a doctor“ der österreichischen Künstlerin Zenita Komad erinnert an die in Vergessenheit geratene Medizin als eine Heilkunst und mahnt, die allein durch administrative Zwänge etablierte Trennung der Sphären Kultur und Gesundheit zu überwinden und die tiefe Verbundenheit von Kunst und Lebenswissenschaften neu zu bewerten. Jüngere Forschungen stützen die Hypothese, dass künstlerische Aktivitäten adjuvante therapeutische Potenziale freisetzen und über kürzere und längere Zeiträume Heilungsverläufe positiv beeinflussen können.
Das gemeinsame Singen in einer Chorgruppe etwa bietet über eine Ästhetisierung des Alltags in einer Behandlungseinrichtung für psychisch kranke Kinder und Jugendliche hinaus die Chance, den Patienten/innen zu mehr Wohlbefinden und Lebensqualität zu verhelfen. Die aktuell hohe Prävalenz von emotionalen und Verhaltensstörungen im Kindes- und Jugendalter einerseits und die Vielschichtigkeit der psychischen Auffälligkeiten andererseits verleihen dieser Forderung, verbunden mit fehlenden, überbrückenden Maßnahmen zwischen Klinikaufenthalt und Rückkehr in den Alltag, nach multimodalen Behandlungskonzepten und adjuvanten, effektiven, kostengünstigen und nebenwirkungsarmen Therapieansätzen einen besonderen Nachdruck (Thun-Hohenstein und Schafellner 2013; Hudziak 2017).
Musikalische Aktivitäten wie Musizieren, Musikhören oder Singen und Tanzen werden in diesem Zusammenhang nicht nur vermehrt im klinisch-therapeutischen Kontext eingesetzt (Stegemann & Schmidt 2015), sondern gelangen in den Fokus der wachsenden internationalen Forschungsdebatte (z.B. MacDonald, Kreutz und Mitchell 2012; Bernatzky und Kreutz 2015; Christensen und Gomila 2018). Insbesondere das Chorsingen scheint mit positiven psychologischen und biologischen Reaktionen assoziiert und kann zur Besserung der Lebensqualität und des Wohlbefindens beitragen (z.B. Fancourt, et al. 2016; Grebosz-Haring und Thun-Hohenstein 2020; Grebosz-Haring und Thun-Hohenstein 2018; Kreutz 2014; Kreutz et al. 2004). Dennoch fehlen die Untersuchungen zu Ähnlichkeiten und Unterschieden der psychologischen und neurochemischen Antworten auf musikalische Aktivitäten zwischen nicht-klinischen und klinischen Bevölkerungsgruppen unter Kindern und Jugendlichen. Bei psychisch kranken Kindern und Jugendlichen sind die methodologischen Herausforderungen aufgrund der Krankheitsbilder und Schwankungen im täglichen Befinden nochmals verstärkt und eine wissenschaftliche Forschung bedarf einer besonders sensiblen Vorbereitung.
Das Ziel der geplanten kontrollierten Studie besteht nun darin, die längerfristige (6 Monate) Wertigkeit des Singens in einer Gruppe von einerseits psychisch kranken und andererseits gesunden Kindern und Jugendlichen im Alter zwischen 10 und 18 Jahren zu erforschen. Untersucht werden dabei die Auswirkungen des Singens auf die soziale Kompetenz, die Befindlichkeit und das Wohlbefinden sowie neurochemische Reaktionen (Cortisol, Alpha-Amylase und Immunoglobulin A). Daraus sollten sich wesentliche Ansatzpunkte für die Behandlung und Prävention psychischer Erkrankungen ergeben und gleichzeitig die Künste als ein zentrales Moment menschlichen Daseins in den Mittelpunkt der Betrachtung rücken.
Das Vorhaben ist als interdisziplinäres Grundlagenforschungsprojekt angelegt, das in der Verbindung von künstlerischer Praxis, wissenschaftlicher Forschung und Medizin im Rahmen eines klinischen Settings entwickelt wird und dazu dient, Kinder und Jugendliche in schwierigen Lebenssituationen mit Hilfe von Musik und musikalischer Betätigung in ihrer Persönlichkeitsentwicklung zu unterstützen. Durch die neuen Interventionsansätze sowie Untersuchungsmethoden sollte ein innovativer Forschungsansatz gelingen, der das Spektrum der traditionellen disziplinär konzipierten Medizinforschung wesentlich erweitert.
Projektphasen / Projektteile
1. Chorworkshops einmal in der Woche über zwei Jahre mit Kindern und Jugendlichen (10–18 Jahre; ca. 30 Teilnehmer/innen pro Gruppe), die an der Universitätsklinik für Kinder und Jugendpsychiatrie Salzburg aufgenommen sind sowie Kinder der Salzburger Schulen und Kinder des Chorus Juventus der Wiener Sängerknaben.
2. Gleichzeitige Erhebung der sozialen, psychologischen und neuroendokrinen Daten.
3. Abschlussworkshop mit Performance.
4. Auswertung der Daten, Verarbeitung und Publikation der Forschungsergebnisse.
Presseberichte:
Forscher dämpfen Erwartungen an Musik, salzburg.ORF.at, 19.08.2024
sn_201201_claudia_spahn_Musikmedizinerin: Singen und Musizieren vermittelt Glücksgefühle | SN.at