Partizipative und intervenierende künstlerische Strategien


 

Im DuMont Begriffslexikon zur zeitgenössischen Kunst (2014) wird Partizipation „als Teilhabe einer Person beziehungsweise einer Gruppe an Entscheidungsprozessen oder Handlungsfeldabläufen in übergeordneten Strukturen“ definiert (Wege 2014: 276). Mit dieser Definition erfolgt eine klare Abgrenzung zur einfachen Interaktion, die eine Teilnahme bezeichnet, die keinen Einfluss auf Struktur und Entwicklung des Werks hat.

 

In der zeitgenössischen Kunst haben sich vielfältige Strategien der Intervention und der Partizipation (Bishop 2012; Feldhoff 2012, 2014; Milevska 2015, 2016; Rollig/Sturm 2002) herausgebildet. Sie werden von Künstler_innen vor allem seit den 1960er und 70er Jahren eingesetzt. Für die 1990er Jahre wurde ein »participatory turn in der Kunst konstatiert (Ziese 2010: 72), der in einer Vielzahl von sozial engagierten Praktiken und relationalen Kunstpraxen (z.B. new genre public art, community art) sichtbar wird und neue Wege der Kommunikation und der Kollaboration aufzeigt. So beziehen die Künstler_innen die Öffentlichkeit oft von Beginn an ein und verwenden Strategien der Interventionen und des zivilen Engagements. In der Kunst des 20. und 21. Jahrhunderts spielt „‚Partizipation‘ als Praxis oder Postulat (fast) immer dort eine Rolle, wo es um die Selbstkritik der Kunst geht, um die Infragestellung des Autors, um die Distanz der Kunst zum ‚Leben‘ und der Gesellschaft“ (Kravagna 1998: o. S.). Seit den 1970er Jahren greift vor allem die so genannte „New Genre Public Art“ (Lazy 1995: 37) als eine sich kontinuierlich entwickelnde Strömung der zeitgenössischen Kunstproduktion Themen des kulturellen Alltags auf und rückt in ihrer künstlerischen Praxis „das Soziale in den Mittelpunkt“ (Kravagna 1998: o.S.). Zu ihrem künstlerischen Selbstverständnis gehört es, „von der symbolischen Ebene auf die ‚reale‘ zu wechseln, also an die Stelle der Deutung und Kritik des Sozialen die soziale Praxis zu setzen“ (Kravagna 1998: o. S.).

 

Diese „post-studio“-Kunstpraxen, in welchen es zentral um das Verhandeln der Grenzen zwischen Kunst und Leben sowie Kunst und Politik geht, werden seit den 1990er Jahren unter Begriffen wie „socially engaged art, community-based art, experimental communities, dialogical art, littoral art, interventionist art, participatory art, collaborative art, contextual art and (most recently) social practice“ gefasst (Bishop 2012: 1). Nicht nur die Begrifflichkeiten sondern zugleich auch die Rolle der Künstler_innen hat sich dabei verändert. Der Fokus liegt nunmehr auf der Produktion von Situationen und temporären sozialen Räumen (vgl. Bishop 2012: 2f.). Mit dieser Verschiebung erhält die zwischenmenschliche Interaktion notwendigerweise einen zentralen Stellenwert (vgl. Doherty 2004). In diesem Zusammenhang prägte Grant Kester (2004) den Begriff der „dialogical aesthetics“, der nach dem Begriff der „relational aesthetics“ (Bourriaud 1998) einen spezifischen Fokus auf die Kommunikation bzw. das Dialogische in zeitgenössischen partizipativen Kunstpraxen setzt (vgl. Huber 2014).

 

Aktuelle Auseinandersetzungen mit dem Partizipationsbegriff im Kunstkontext verhandeln also auf vielfältige Weise die Verhältnisse von Produktion und Rezeption, sowie darüber hinausgehend die Gestaltung sozialer Welt, also des Zusammenlebens schlechthin.

 

Silke Feldhoff (2014) hält hierbei fest, dass die Beteiligung von Produzent_innen und Rezipient_innen eine Art Annäherung erfordert, die von vornherein den Kontext miteinbezieht und künstlerische Arbeiten als geschichtlich-gesellschaftlich bedingte Hervorbringung sieht. Laut Feldhoff beabsichtigen Partizipationsangebote die vormaligen „Zuschauer_innen“ zu aktivieren und demnach formuliert sie vier Partizipationsziele: Partizipationsangebote wirken „politisierend“ – sie sind aufklärend motiviert, häufig aktivistisch ausgerichtet (auch agitierend); „emanzipativ“ – sie sind demokratisch motiviert und zielen auf Ermächtigung und Mitbestimmung; „bildend“ – sie sind didaktisch motiviert, und zielen darauf Bildungsinhalte und Kompetenzen zu vermitteln; „unterhaltend“ – sie sind spielerisch motiviert, auf Animation, Erleben und Aktion zielend. (vgl. Feldhoff 2014: 164)

 

Eine grundlegende Neuformulierung des Begriffs der Partizipation verfolgt Irit Rogoff  mit ihrem Artikel „Looking Away. Participations in Visual Culture“ (2005). Sie schlägt einen Blickwechsel vor, der darin besteht, dass binäre Logiken von Akteur_innen und Betrachter_innen durchkreuzt werden: „a shift of the traditional relations between all that goes into making (practice) and all that goes into viewing (audience), the objects of visual cultural attention“ (Rogoff 2005: 119). Während die traditionelle Kunstgeschichte immer davon ausging, dass es „darum ginge, besser, gemeinsam, genauer und hinzusehen“ (Sternfeld 2012: 123), schlägt Rogoff „wegsehen“ – „looking away“ als eine Strategie der Partizipation vor. Sie richtet den Blick auf das, was geschehen kann, wenn die Intentionen (von Künstler_innen und Kurator_innen) nicht mehr alle Gespräche und Handlungsformen in Ausstellungen dominieren, wenn unerwartete und ungewöhnliche Begegnungen stattfinden und wenn performative Handlungen neue Formen des Umgangs mit Institutionen und Ausstellungen generieren“ (Sternfeld 2012: 123). Rogoffs Verständnis von Partizipation beginnt dort, wo Ausstellungen nicht mehr als Räume der Repräsentation verstanden werden, sondern als ein Raum der Möglichkeit (vgl. Sternfeld 2012: 123).

 

von Laila Huber und Elke Zobl

 

 

Literatur:

 

Bishop, Claire (2012): Articifial Hells. Participatory Art and the Politics of Spectatorship. New York: Verso.

 

Bourriaud, Nicolas (1998): Relational Aesthetics. Dijon: Les presses du réel.

 

Doherty, Claire (2004): The New Situationists, in: dies. (Hg.): Contemporary Art – From Studio to Situation. London: Blackdog Publishing.

 

Feldhoff, Silke (2012): Partizipative Kunst. Spaß, Alptraum – oder gesellschaftlicher Imperativ?, in: Montag Stiftung Kunst und Gesellschaft (Hg.): faktor kunst 2011. Ideen und Konzepte für partizipatorische Kunstprojekte, Bonn, S. 72-75.

 

Feldhoff, Silke (2014): „Formen partizipatorischer Praxis in der Kunst. Begriffe, Entwicklungen, Typen. Eine Standortbestimmung“, eine Zusammenfassung meiner Dissertation, veröffentlicht in: Frank Bölter, Katalog Columbus Art Foundation Leipzig 2009 (columbus books| Revolver Publishing), S. 157-173.

 

Huber, Laila (2014): Topografie(n) des Möglichen (in) der Stadt Salzburg. Selbstorganisation und Partizipation an den Schnittstellen zu Kunst und Politik, Dissertation eingereicht an der Kultur- und Gesellschaftswissenschaftlichen Fakultät der Universität Salzburg.

 

Kester, Grant (2004): Conversation Pieces. Community and Communication in Modern Art, Berkeley: University of California Press.

 

Kravagna, Christian (1998): Arbeit an der Gemeinschaft Modelle partizipatorischer Praxis. Online unter http://www.republicart.net/disc/aap/kravagna01_de.htm (10.5.2011).

 

Lacy, Suzanne (Hg.) (1995): Mapping the Terrain: New Genre Public Art. Seattle: Bay Press.

 

Milevska, Suzana (2015). Auf der neoliberalen Bühne: Die uneingelösten Versprechen und Hoffnungen partizipatorischer Kunst für die Demokratisierung der Gesellschaft. Bildpunkt „Demokratie im Präsens“, spring 2015, http://www.igbildendekunst.at/bildpunkt/bildpunkt-2015/demokratie-im-praesens/auf-der-neoliberalen-buehne.htm (10.9.2016)

 

Milevska, Suzana (2016): “Infelicitous” Participatory Acts on the Neoliberal Stage. Participatory art’s promises and hopes for democratization of society, in: p/art/icipate – Kultur aktiv gestalten # 07 , http://www.p-art-icipate.net/cms/infelicitous-participatory-acts-on-the-neoliberal-stage/ (10.10.2016).

 

Rogoff, Irit (2005): Looking Away. Participations in Visual Culture, in: Butt, Gavin (Hg.): After Criticism. New Responses to Art and Performance, Blackwell Publishing, S. 117-134.

 

Rolling, Stella/ Sturm, Eva (Hg.) (2002): Dürfen die das? Kunst als sozialer Raum. Wien: Turia + Kant.

 

Sternfeld, Nora (2012): Um die Spielregeln spielen! Partizipation im post-repräsentativen Museum, in: Susanne Gesser et al. (Hg.): Das partizipative Museum: Zwischen Teilhabe und User Generated Content. Neue Anforderungen an kulturhistorische Ausstellungen, Bielefeld. Online http://www.academia.edu/4200578/Um_die_Spielregeln_spielen_Partizipation_im_post-reprasentativen_Museum (10.9.2016)

 

Wege, Astrid (2014): Partizipation, in: Butin, Hubertus (Hg.): Begriffslexikon zur zeitgenössischen Kunst. Snoeck, S. 275-280.

 

Ziese, Marion (2010): Kuratoren und Besucher. Bielefeld: Transcript.