Partizipation


 

Der Begriff „Partizipation“ umfasst eine Vielzahl an Konzepten wie Teilhabe, Teilnahme, Mitbestimmung oder Mitwirkung. Es ist ein umkämpfter Begriff sowohl in unterschiedlichen wissenschaftlichen Disziplinen als auch in verschiedenen Praxisfeldern und der Realpolitik. Neben der Stadtplanung und Architektur haben sich insbesondere die Bildende Kunst und Kunsttheorie sowie die Kunst- und Kulturvermittlung mit Partizipation und der Transformation von passiven Zuschauer_innen, Konsument_innen oder Büger_innen in Co-Produzent_innen und aktive Bürger_innen beschäftigt.

 

Bereits bei Klassikern der theoretischen Auseinandersetzung mit Konzepten der Partizipation wie beispielsweise Carole Patemans Buch „Democratic Theory and Participation“ von 1970 sowie auch bei Sherry R. Arnsteins „Leiter der Partizipation“ von 1969, geht es um eine Differenzierung unterschiedlicher Ebenen und Formen von Partizipation sowie der Frage was gilt überhaupt als „Partizipation“ und was als „Nicht-Partizipation“.

 

Während Pateman zwischen „partieller“ und „vollständiger“ Partizipation („partial“, „full“) unterscheidet, ist Arnsteins Differenzierung im Kontext der Bürger_innenbeteiligung in der Stadtplanung detaillierter und verweist kritisch darauf, dass Bürger_innenbeteiligung oftmals nur ein Lippenbekenntnis sei. Entsprechend umfasst ihr Modell unterschiedliche Formen der Partizipation und Nicht-Partizipation. Sie differenziert dabei drei Stufen, beginnend mit (1) „Nonparticipation“ (Manipulation, Therapy), (2) „Tokenism“ (Informing, Consultation, Placation) bis hin zum eigentlichen Ziel von Bürger_innenbeteiligung mit der dritten Stufe (3) der „Citizen Power“ (Partnership, Delegated Power, Citizen Control). Ihre polemische Darstellung zielt dabei auf eine Unterscheidung von „Scheinpartizipation“ und „wahrer Partizipation“. Arnsteins Leiter der Partizipation wurde in Folge in unterschiedliche Bereiche übertragen und weiterentwickelt (z.B. hat Roger Hart (1992) eine Leiter der Partizipation von Jugendlichen und Kindern entwickelt).

 

Eine Weiterentwicklung des Stufenmodells der Partizipation, das von Michael Wright et al. (2010) im Kontext der partizipativen Gesundheitsforschung vorgeschlagen wurde, eignet sich aufgrund seiner allgemeinen Formulierung besonders gut zur Anwendung auch in anderen Bereichen. Das Modell ergänzt die acht bisherigen Stufen um eine weitere, die der „Selbstorganisation“. Somit weist dieses Modell über Partizipation hinaus und umfasst das Spannungsverhältnis in dem Partizipationsprozesse stattfinden – sie situieren sich demnach zwischen „Nicht-Partizipation“ und „Selbstorganisation“. Die vier Bereiche dieses Modells umfassen: (1) „Nicht-Partizipation“ (Instrumentalisierung, Anweisung); (2) „Vorstufen der Partizipation“ (Information, Anhörung, Einbeziehung); (3) „Partizipation“ (Mitbestimmung, Teilweise Entscheidungskompetenz, Entscheidungsmacht) und (4) „Selbstorganisation“.

 

Anhand dieser Modelle wird deutlich, dass die Definition und Differenzierung unterschiedlicher Ebenen und Formen von Partizipation ein stetiger Aushandlungsprozess auf Mikroebene ist und als dynamisches und wandelbares Austarieren von Kräfteverhältnissen zwischen unterschiedlichen Akteur_innen auf Mikro- und Markoebene zu verstehen ist.

 

Markus Miessen (2012) hat mit seinem Buch „Albtraum Partizipation?“ die Frage nach den Interessenspolitiken von Partizipation aufgeworfen und dabei den Bogen von der Architektur über die Stadtplanung und Kunst bis hin zur internationalen Politik gespannt. Miessen öffnet damit einen Diskursraum über die vielfältige und ambivalente Nutzung des Partizipationsbegriffs unter den Bedingungen des zeitgenössischen Kapitalismus.

 

Auch Suzana Milevska (2015, 2016) fokussiert die Ambivalenzen von Partizipation unter neoliberalen Vorzeichen im Kunstkontext. Sie hinterfragt die vielen - aus ihrer Sicht überhöhten - Erwartungen, die an die partizipatorische Kunst gestellt werden. Sie nennt hierbei die Erwartung, dass partizipatorische Kunst die hierarchische Trennung zwischen KünstlerIn und Publikum aufzulösen vermöge, die Erwartung, dass durch die Einbeziehung verschiedener Publikumssegmente demokratische Veränderungen in der Gesellschaft vorangetrieben werden könnten, sowie die Erwartung, dass soziale Ungerechtigkeiten in kulturellen, sozialen und politischen Strukturen aufgedeckt werden könnten. Die realen Chancen diese Versprechen einzulösen sieht Milevska jedoch eher gering, außer die Bestrebungen setzen auf struktureller Ebene an und zielen auf eine konkrete Umverteilung nicht zuletzt von ökonomischen Ressourcen – wie bspw. im Ansatz des „Partizipativen Budgets“ (vgl. Milevska 2016: 4). Ebenso kritisch sehen Janna Graham und Nicolas Vass (2014) diese Entwicklung. Sie sprechen von Partizipation und Intervention als „konzeptuellen Fetisch“ im neoliberalen Kontext.

 

Gerade aufgrund der vielfachen Instrumentalisierung des Partizipationsbegriffs im neoliberalen Kontext, erscheint es uns umso wichtiger Partizipation im Kontext radikaldemokratischer Ansätze zu verorten. Wir beziehen uns dabei auf Chantal Mouffes „agonistisches Modell der Demokratie“ (Mouffe 2008, 2014), mit welchem Fragen und Annahmen über Machtverhältnisse sowie der permanente Widerstreit zwischen sozialen Positionen ins Zentrum der Betrachtung rücken (s. dazu auch Drüeke 2013). Mouffe unterscheidet zwischen der „Politik“ und dem „Politischen“. Während Politik der Errichtung einer gesellschaftlichen Ordnung und Struktur dient, entwickelt sich in den Brüchen und Verschiebungen des Antagonismus das Politische (vgl. ebd.). Mouffe weist insbesondere auf den agonistischen Charakter von gegenhegemonialen öffentlichen Räumen hin, in denen Differenzen und Konflikte ausgehandelt werden.

 

Eine Möglichkeit des gesellschaftlichen Eingreifens, Mitredens und Mitgestaltens sowie der Kritik bieten in diesem Sinne intervenierende und partizipative Strategien der zeitgenössischen Kunst- und Kulturproduktion. Es geht dabei um Partizipation nicht als „naives Mitbestimmungsparadigma“, sondern um eine „Teilhabe, die Intervention ermöglicht, statt die dominanten Erzählweisen zu reproduzieren und Beteiligung zu simulieren“ (Ziese 2010: 77).

 

Im Kontext unseres Projektes an der Schnittstelle von Schule und Universität sowie Kunst, Kunstvermittlung und Forschung sprechen wir daher von „Partizipation als kritischer Praxis“. Hiermit wollen wir die im Projekt bestehenden Machtgefälle thematisieren und nicht als gleichberechtigte kollaborative Praxis (vgl. Terkessidis 2015) darstellen. Die Zusammenarbeit mit den Jugendlichen enthält durchaus kollaborative Aspekte, bleibt jedoch eine vom Projektteam initiierte Begegnung und ist von den spezifischen institutionellen Machtmechanismen von Universität und Schule geprägt. Insofern erscheint uns der Begriff „Partizipation als kritische Praxis“ als Bezeichnung für die Zusammenarbeit zutreffend, um eine selbstreflexive Form der Partizipation zu bezeichnen.

 

Mit Nora Sternfeld (2012) gehen wir davon aus, dass wenn Partizipation in künstlerischen und kulturellen Projekten als „eine Form der Teilnahme und Teilhabe, die die Bedingungen des Teilnehmens selbst ins Spiel bringt“ (Sternfeld 2012: 121), dann können solche Projekte Möglichkeiten der Transformation im Sinne von sozialen und politischen Wandels eröffnen.

 

von Laila Huber und Elke Zobl

 

 

Literatur:

 

Arnstein, Sherry R. (1969): A ladder of citizen participation, in: Journal of the American Institute of Planners, 35 (4), 216-224.

 

Drüeke, Ricarda (2013): Politische Kommunikationsräume im Internet. Zum Verhältnis von Raum und Öffentlichkeit. Bielefeld: Transcript.

 

Graham, Janna/ Vass, Nicolas (2014):  Intervention / Art.  p/art/icipate – Kultur aktiv gestalten, 5. http://www.p-art-icipate.net/cms/intervention-art/ (10.9.2016)

 

Hart, Roger (1992): Childrens’s Participation.From Tokenism to Citizenship. Florence: UNICEF Research Center.

 

Miessen, Markus (2012): Albtraum Partizipation. Berlin: Verve Verlag.

 

Milevska, Suzana (2015). Auf der neoliberalen Bühne: Die uneingelösten Versprechen und Hoffnungen partizipatorischer Kunst für die Demokratisierung der Gesellschaft. Bildpunkt „Demokratie im Präsens“, spring 2015, http://www.igbildendekunst.at/bildpunkt/bildpunkt-2015/demokratie-im-praesens/auf-der-neoliberalen-buehne.htm (10.9.2016)

 

Milevska, Suzana (2016): “Infelicitous” Participatory Acts on the Neoliberal Stage. Participatory art’s promises and hopes for democratization of society, in: p/art/icipate – Kultur aktiv gestalten # 07 , http://www.p-art-icipate.net/cms/infelicitous-participatory-acts-on-the-neoliberal-stage/

 

Mouffe, Chantal (2008): Art and Democracy: Art as an Agnostic Intervention in Public Space. Open, 14, 6-13.

 

Mouffe, Chantal (2014): Agonistik. Die Welt politisch denken. 1. Auf., Berlin: Suhrkamp.

 

Pateman, Carole (1970): Participation and democratic Theory, Cambridge: Cambridge University Press.

 

Sternfeld, Nora (2012): Um die Spielregeln spielen! Partizipation im post-repräsentativen Museum, in: Susanne Gesser et al. (Hg.): Das partizipative Museum: Zwischen Teilhabe und User Generated Content. Neue Anforderungen an kulturhistorische Ausstellungen, Bielefeld. Online http://www.academia.edu/4200578/Um_die_Spielregeln_spielen_Partizipation_im_post-reprasentativen_Museum (10.9.2016)

 

Terkessidis, Mark (2015): Kollaboration. Suhrkamp

 

Wright, Michael T./von Unger, Hella/Block, Martina (2010): Partizipation der Zielgruppe in der Gesundheitsförderung und Prävention, in: Wright, Michael T. (Hg.): Partizipative Qualitätsentwicklung in der Gesundheitsförderung und Prävention, Verlag Hans Huber, S. 35-52.

 

Ziese, Marion (2010): Kuratoren und Besucher. Bielefeld: Transcript.