Kritische Kunst- und Kulturvermittlung


 

In der Kunst- und Kulturvermittlung wurden zahlreiche Strategien entwickelt, mit dem Ziel möglichst vielen gesellschaftlichen Gruppen kulturelle Teilhabe zu ermöglichen. Die Intentionalität von Kunst- und Kulturvermittlung ist dabei in vielen Fällen implizit wirksam, wird jedoch meist nicht explizit benannt, wie dies Carmen Mörsch, in der Publikation „Zeit für Vermittlung“ (IAE/ZHdK: 2013) thematisiert. Kunst- und Kulturvermittlung bewegt sich laut Mörsch zwischen den zwei Polen und Zielen von Emanzipation und Disziplinierung (vgl. IAE/ZHdK: 2013: 33-41). Es geht hier um unterschiedliche Positionen darüber, „wer jeweils das Recht und die Möglichkeit hat, die Künste zu besitzen, zu sehen, zu zeigen und über sie zu sprechen.“ (ZfV.: 33)

 

Damit zusammenhängend sind jeweils unterschiedliche Verständnisse von Bildung: Zum einen Bildung als das Erlernen von bestehenden Wissensbeständen, die es zu rezipieren und zu reproduzieren gilt – und damit einer Stabilisierung bestehender (Macht-)Verhältnisse zuträglich ist. Andererseits ein Bildungsverständnis, dass Bildung als Werkzeug zur Hinterfragung von Machtverhältnissen und zur Selbstermächtigung versteht. Der Soziologe Pierre Bourdieu hat bereits Ende der 1970er-Jahre in seiner Studie „Die feinen Unterschiede“ festgestellt, dass „Kunst“ insbesondere als Mittel der sozialen Distinktion dient und als Abgrenzungsfunktion in Bezug auf Milieuzugehörigkeit eingesetzt wird, um das vermeintlich „Eigene“ vom vermeintlich „Anderen“ bzw. „Fremden“ abzugrenzen/zu unterscheiden (IAE/ZHdK: 2013: 35).

 

Wie kann nun diese Problematik der sozialen Distinktion in einer kritischen Kunst- und Kulturvermittlung nun aufgegriffen werden? Ein möglicher Ansatz besteht darin, Bildung sowie Kunst- und Kulturvermittlung als das Erproben und Entwickeln von Werkzeugen zu verstehen, die ein Hinterfragen (und Offenlegen) von Machtmechanismen sowie ein Entwickeln von Werkzeugen, die Möglichkeiten der Selbstrepräsentation eröffnen, ermöglichen. Mit Carmen Mörsch kann Kunst- und Kulturvermittlung in diesem Sinn als „zweifache Bewegung zwischen Kritik und Neudenken der Praxis“ verstanden werden (IAE/ZHdK: 2013: 39).

 

Dabei ist es v.a. die kritische Kunstvermittlung (vgl. u.a. Institute for Art Education 2013; Mörsch/Settele 2012; Schnittpunkt 2013; Sturm 2011) die, wichtige Fragen in Bezug auf die Wechselbeziehungen von Lernen und hegemonialen Verhältnissen diskutiert (Sternfeld 2014).

Der offene Raum (Masuch 2006), den die Kunst- und Kulturvermittlung herstellt, kann dabei als „Raum für Dissens“ verstanden werden (Sternfeld 2014: 10). Dadurch können Möglichkeiten der Teilhabe und der Ermächtigung von und mit den Beteiligten erprobt werden.

 

Bildung verstehen wir in diesem Kontext in der Tradition kritischer und radikaler Pädagogik, wie sie u.a. von Paulo Freire ([1970] 1978) und bell hooks (1994) geprägt wurde, als Prozess der Politisierung. In diesem Verständnis ist es Auftrag und Ziel von Bildung, dazu beizutragen, dass die Menschen jene Machtmechanismen erkennen lernen, die ihr Leben prägen. Denn diese Reflexion ist Voraussetzung, um darauf aufbauend Veränderungen (selbstermächtigend) initiieren zu können. Bildung wird in dieser Perspektive als gegenseitiger Lernprozess und kollaborative Wissensproduktion aufgefasst. Kritische Praxis bedeutet dabei, Theorie und Reflexion sowie das Erproben von Handlungsstrategien als zusammengehörig zu verstehen. (vgl. Huber/Zobl 2014, Zobl/Huber 2015).

 

Seit dem „educational turn in curating“ (Rogoff [2008] 2012) sowie dem „educational turn in education” (Jaschke/Sternfeld 2012: 18) tritt laut Jaschke/Sternfeld die Entwicklung von Kunstvermittlung als kritische Praxis unter Bezugnahme auf kritische und radikale Bildungsansätze in den Vordergrund. Dabei haben Prozesse der Infragestellung von Sprechpositionen und die Herstellung von Bedingungen für kollaborative Wissensproduktion eine zentrale Bedeutung: Es geht um das Anerkennen der Gleichwertigkeit unterschiedlicher Wissensformen, wie jener des Erfahrungswissens und des akademischen Wissens, sowie um die Thematisierung und einen bewussten Umgang mit ungleichen strukturellen Machtverhältnissen der beteiligten Akteur_innen (vgl. Landkammer 2012).


Solche Aspekte haben natürlich für Projekte, die an der Schnittstelle und in Kooperation von verschiedenen Institutionen wie Universität – Schule/außerschulischen Einrichtungen – Kunst- und Kultureinrichtungen angesiedelt sind, wichtige Konsequenzen und werfen mehr Fragen auf, als sie Antworten geben. Einen der kritischen Kunstvermittlung zugeordneten Ansatz stellt dabei das Konzept der künstlerisch-edukativen Projekte dar, entwickelt von Eva Sturm. Dieser Terminus beschreibt Projekte, „die entweder im Kunstfeld angesiedelt oder kunstnah angelegt“ sind und sich kritisch reflektierend in Bildungskontexten verorten: „Es sind Vorhaben, in denen künstlerische Praktiken die Arbeitspraxis strukturieren und in denen verschiedene Öffentlichkeiten mit Künstler_innen bzw. Kunstvermittler_innen bzw. Cultural Workers kooperieren (…) Gemeinsam ist solchen Projekten in der Regel, dass die Ergebnisse (…) wieder in den öffentlichen Raum zurückgespielt werden.“ (Institute for Art Education 2013: o.S.) Der Ansatz wird in einer wachsenden Zahl an Publikationen (Institute for Art Education 2013, Settele/Mörsch 2012, Sturm 2011) und bei Konferenzen weiterentwickelt. Er eignet sich für die Arbeit mit Jugendlichen in der Kunstvermittlung, im Schulkontext (Lüth 2005) und für die Kommunikation zwischen kultureller und politischer Bildung (vgl. u.a. Besand 2012). Wir fassen künstlerisch-edukative Projekte daher als passenden konzeptuellen Rahmen für die Arbeit mit künstlerischen und kulturellen Interventionen im Bildungskontext.


Ein wichtiger Impuls für künstlerisch-edukative Projekte liegt im Infragestellen des Lernens selbst. In ihrem Artikel „Verlernen vermitteln“ legt Nora Sternfeld dar, wie Prozesse des Lernens und Verlernens von Denk- und Handlungsmustern in Hinblick auf Kritik und gesellschaftliche Transformation zusammenhängen (Sternfeld 2014: 12f.). Sternfeld definiert den Ort des Lernens und Lehrens als „umkämpftes Terrain“, in dem die Pädagogik als verändernde Praxis verstanden wird, die das Sagbare und Denkbare (ebd.: 19) verhandelt und verändert und die „dominanten Formen des Denkens und Handelns“ (Mayo 2006: 22, zit. n. Sternfeld 2014: 19) herausfordert. Sie bezieht sich dabei auf das in der postkolonialen Kritik verankerte Konzept des „Unlearning“ (Verlernen) von Gayatri Spivak. Bei diesem geht es nicht nur darum „Hegemonie zu vermeiden, sondern vielmehr darum gegenhegemoniale Prozesse zu formieren“, Machtverhältnisse bewusst zu verlernen und die strukturelle Dimension von Ausschlussmechanismen zu erkennen (Sternfeld 2014: 16ff.).

Ein wichtiger Aspekt des Verlernens/Unlearning ist laut Nora Sternfeld im Performativen angesiedelt. Machtverhältnisse stehen mit Lernprozessen in Beziehung, sie werden tagtäglich gelernt und aufgeführt und somit reproduziert oder auch subvertiert. Gängiges und mächtiges Wissen kann in diesem Sinn in der pädagogischen oder künstlerischen Vermittlungstätigkeit dekonstruiert werden und offene Räume für alternative Wissensproduktionen (s. auch Lang 2015) können geschaffen werden, die eine Aneignung und dadurch eine Neuinterpretation und Transformation von Bedeutungen und Zuschreibungen ermöglichen (Sternfeld 2014: 9).

 

von Elke Zobl und Laila Huber

 

Literatur:

 

Besand, Anja (Hg.) (2012): Politik trifft Kunst. Zum Verhältnis von politischer und kultureller Bildung. Bonn: BpB.

 

Freire, Paulo ([1970] 1978): Pädagogik der Unterdrückten. Bildung als Praxis der Freiheit. Reinbek/Hamburg: Rowohlt.

 

Huber, Laila/Zobl, Elke (2014): INTERVENE! Künstlerische Interventionen II: Bildung als kritische Praxis. In: p/art/icipate – Kultur aktiv gestalten #5,  http://www.p-art-icipate.net/cms/intervene-kunstlerische-interventionen-ii-bildung-als-kritische-praxis/ (10.9.2016)

 

hooks, bell (1994): Teaching to Transgress. Education as the practice of freedom. New York: Routledge.

 

Institute for Art Education der Zürcher Hochschule der Künste (ZHdK) (2013): Zeit für Vermittlung. Eine online Publikation zur Kulturvermittlung. Im Auftrag von Pro Helvetia, als Resultat der Begleitforschung des «Programms Kulturvermittlung» (2009–2012). http://www.kultur-vermittlung.ch/zeit-fuer-vermittlung/v1/?m=1&m2=3&lang=e, (10.9.2016)

 

Jaschke, Beatrice /Sternfeld, Nora (2012): Einleitung. Ein educational turn in der Vermittlung, in: Dies./Schnittpunkt (Hg.): educational turn. Handlungsräume der Kunst- und Kulturvermittlung. (Ausstellungstheorie & Praxis Bd. 5), Wien: Turia + Kant, S. 13-23.

 

Landkammer, Nora (2012): Vermittlung als kollaborative Wissensproduktion und Modelle der Aktionsforschung, in: Settele, Bernadette/Mörsch, Carmen (Hg.): Kunstvermittlung in Transformation. Zürich: Scheidegger&Spiess, S. 199-211.

 

Lang, Siglinde (2015): Partizipative Räume als Nährboden kultureller Bedeutungsproduktion. In: p/art/icipate – Kultur aktiv gestalten # 06 , http://www.p-art-icipate.net/cms/partizipative-raume-als-nahrboden-kultureller-bedeutungsproduktion/ (10.9.2016)

 

Lüth, Nanna (2005): KünstlerInnen in der Kunstvermittlung/in der Schule. Eine Abwägung von Chancen und Risiken, in: Sommer, Achim / Ohmert, Claudia (Hg.): Munch-Symposium. Kunstvermittlung in Schule und Museum, Emden.

 

Masuch, Bill (2006): Der offene Raum. Handlungsräume in Kunst und Kunstvermittlung, in: Maset, Pierangelo/Reuter, Rebekka/Steffel, Hagen (Hg.): Corporate Difference. Formate der Kunstvermittlung, Lüneburg: edition Hyde, S. 87-128.

 

Mayo, Peter (2006): Politische Bildung bei Antonio Gramsci und Paulo Freire. Perspektiven einer verändernden Praxis, Hamburg.

 

Rogoff, Irit ([2008] 2013): Wenden, in: Schnittpunkt (Jaschke, Beatrice/Sternfeld Nora) (Hg.): Educational turn: Handlungsräume der Kunst- und Kulturvermittlung, Wien: Turia + Kant, S. 27-54.

 

Schnittpunkt (Jaschke, Beatrice/Sternfeld, Nora) (Hg.) (2013): Educational turn: Handlungsräume der Kunst- und Kulturvermittlung, Wien: Turia + Kant.

 

Settele, Bernadett/Mörsch, Carmen (Hg.) (2012): Kunstvermittlung in Transformation. Zürich: Scheidegger & Spiess.

 

Sternfeld, Nora (2014): Verlernen vermitteln, Kunstpädagogische Positionen Bd. 30, (hg. v. Sabisch, Andrea/Meyer, Torsten/Sturm, Eva).

 

Sturm, Eva (2011): Von Kunst aus. Kunstvermittlung mit Gilles Deleuze, Wien: Turia + Kant.

 

Zobl, Elke /Huber, Laila (2015): Fragen, verlernen, intervenieren, teilhaben. Kulturelle Interventionen und kritische Kunstvermittlung. In: p/art/icipate – Kultur aktiv gestalten # 06. http://www.p-art-icipate.net/cms/fragen-verlernen-intervenieren-teilhaben/ (10.9.2016)