Lisz Hirn

Und er fliegt noch immer!

Die Figur, die für mich am eindrucksvollsten das Prinzip der Resilienz illustriert, ist Clark Kent. Seit fast 100 Jahren präsentiert sich diese muskelbepackte Fiktion als unscheinbare „Angestelltenexistenz“ und in ihrem „Super-sein“. An ihm prallt alles ab, nicht nur auf die Erde rasende Asteroiden, sondern auch alltägliche Demütigungen: Clark Kent ist wortwörtlich der Mann aus Stahl: Superman. Seine Mission ist es, die Welt zu retten, aber nicht, sie zu verbessern. Statt die gewaltsamen Verhältnisse aufzubrechen, soziale und politische Ungerechtigkeiten zu beseitigen, sich vielleicht sogar an die politische Spitze einer Friedensmission zu katapultieren – wer, wenn nicht jemand mit Superkräften, wäre dazu imstande –, nimmt Clark die Welt als Gegebenes hin. Clark passt sich an, weil dieses Gegebene die Voraussetzung von Supermans Existenz ist. Warum aber erlöst der als Verteidiger und Fürsprecher der Unterdrückten bezeichnete Superheld nicht die Seinen von den Bösen? Weil die Produktion von immer neuen Bösewichten und Super-GAUs zum Mythos des Superhelden dazu gehört. Was wäre Superman ohne seine Superschurken, gegen die er ankämpfen kann. In diesen Kämpfen fungiert er nicht nur als unermüdlicher Helfer der Polizei, sondern auch als Erhalter eines Systems, welches aus struktureller Notwendigkeit heraus immer mehr Gewalt und immer größere Katastrophen katalysiert. Je gerechter, vernünftiger und solidarischer die Welt ist, desto weniger braucht es einen Superman, der als Unmaskierter ohnehin nur ein angepasster Jedermann ist. Dieser Überangepasste ist in gutes Beispiel dafür, wie auf die Spitze getriebene Resilienz aussieht. Unser Wunsch nach Unverwundbarkeit, nach Unverletzlichkeit, nach endlosen Superkräften, all das geht auf die Angst zurück, nicht mehr genug Kräfte aufbringen zu können, um unsere eigene Alltagsexistenz und unseren Lebensstil aufrechtzuerhalten. Superman ist, so schreibt der Kommunikationstheoretiker Marshall McLuhan, „nicht nur eine Erzählung über tatsächliche oder eingebildete Eroberungen und Errungenschaften des technologischen Zeitalters; es ist für den technologisierten Menschen auch das Drama seines eigenen psychischen Scheiterns.“ [1]


 

[1] McLuhan, Marshall: Die mechanische Braut. Volkskultur des industriellen Menschen. In: Etter, Lukas/ Nehrlich, Thomas/Nowotny, Joanna (Hg.) (2018): Reader Superhelden. Theorie – Geschichte – Medien. Bielefeld: transcript, S. 266.

 

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© SUPERMAN Taschenbuch Nr. 4, EHAPA Verlag GmbH, Stuttgart 1976

Lisz Hirn ist Philosophin, Buchautorin und Philosophie-Praktikerin mit den Schwerpunkten Philosophische Praxis als Gesellschaftskritik und im Kultur- & Kunstbereich; Lehr- und Forschungstätigkeit an verschiedenen Universitäten weltweit, u.a. ehemaliger Research Fellow am Forschungsinstitut für Philosophie Hannover.

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