Stefanie Graefe

Ein grundsätzlich konservatives Konzept

In Zeiten von Corona schlägt die Stunde der Resilienz, also eine Zeit, in der die Krisenfestigkeit von Mensch und Gesellschaft diskutiert, bemessen, beschworen und bezweifelt wird. Die Einschätzungen sind dabei einerseits recht skeptisch, sie reichen von der nüchternen Feststellung, dass Resilienz gerade in dem Moment versagt, wenn sie am dringendsten gebraucht wird bis zu einem unverdrossenen Optimismus, der die Pandemie nicht nur als willkommene Gelegenheit zum Ausbau der individuellen wie kollektiven Resilienz feiert, sondern sogar als Ausweis für die Überlegenheit der Demokratie als Regierungsmodell. Demokratien als „lernende Systeme, die ihr Verhalten anpassen, korrigieren und dadurch verbessern können“ scheinen, diesem Argument zufolge, gewissermaßen von Natur aus resilient zu sein und ihre Resilienz unter Coronabedingungen sogar noch erweitern und stärken zu können. Demnach stellt Corona also eine Art Bootcamp der Demokratie dar und Resilienz ist ein Synonym für die Fitness des Gesellschaftskörpers. Skeptischen wie optimistischen Deutungen gemeinsam ist die Annahme, dass Resilienz eine ebenso vernünftige wie unvermeidliche Handlungsorientierung in Krisenzeiten bietet. Und eben diese auf den ersten Blick einsichtige Annahme muss einem zweiten, kritischen Blick unterzogen werden.

Resilienz – Genealogie eines Krisenkonzepts

Um zu verstehen, warum das im Vergleich zu Irrationalismus und Verschwörungstheorien so offenkundig Vernünftige der Resilienz zugleich ein Problem darstellt, muss der Blick zunächst jenseits von Corona auf das Konzept selbst gerichtet werden. Mit Resilienz ist üblicherweise eine flexible Widerstandsfähigkeit gemeint, die Menschen, aber auch Ökosysteme, Finanzmärkte oder Küstenstädte in die Lage versetzt, mit chronischem Stress, Krisen und Schocks so umzugehen, dass es zu keiner nachhaltigen Beeinträchtigung kommt. Wer resilient ist, so der Tenor der auch schon lange vor Corona wuchernden Forschungs- und Ratgeberliteratur zu diesem Thema, der*die ist zwar keineswegs unverletzlich, kann aber mit seiner*ihrer Verletzlichkeit so umgehen, dass Krisen, Schocks und Katastrophen weitgehend unbeschadet überstanden werden. Resilienz ist ein Krisenkonzept, genauer gesagt: eine Handlungsanleitung für das (Über-)Leben in der sich zuspitzenden ökologisch-politisch-sozial-ökonomischen Vielfachkrise. Es wird deshalb nicht zufällig als „Schlüsselkonzept des 21. Jahrhunderts“ (Bröckling 2018) gehandelt. Wo von Resilienz die Rede ist, liegt zugleich immer die Verheißung in der Luft, dass sich auch in radikal unsicheren Arbeits- und Lebensverhältnissen ein günstigenfalls „gutes“ und „erfolgreiches“, mindestens aber halbwegs handhabbares Leben führen lässt. Inmitten der Pandemie gewinnt ein solches Versprechen aus nachvollziehbaren Gründen erheblich an Attraktivität.

Das Konzept der Resilienz wurde bereits im 19. Jahrhundert entwickelt, wird aber erst um die Mitte des 20. Jahrhunderts einem größeren Publikum bekannt. Und dies in zwei parallelen und radikal unterschiedlichen Zuschnitten: einerseits als psychologisches Konzept, das versucht zu ergründen, warum manche Menschen besser mit schwierigen Lebensumständen klarkommen als andere, und andererseits als revolutionäres Paradigma der Ökosystemtheorie, das den Abschied von dem bis dahin dominierenden Gleichgewichtsmodell einleitet. Resilienz verweist in diesem Zusammenhang auf die intrinsische Fähigkeit von Wäldern, Flüssen und schließlich auch Sozialsystemen, selbst radikale Disruptionen langfristig gut zu überstehen, wenn Interventionen von außen weitgehend vermieden werden. Die Schnittstelle beider Perspektiven, der psychologischen wie der ökologischen, liegt im Begriff der Adaption: Resilient ist, egal ob Regenwald, Finanzmarkt oder Burnoutbetroffener, wer sich auf unvorhergesehene, belastende oder sogar existenzbedrohende Umstände so einstellen kann, dass es zu keiner nachhaltigen Beeinträchtigung kommt: Wo von Resilienz die Rede ist, geht es immer um die flexible Anpassung an sich rasch wandelnde und deshalb potenziell krisenförmige Umweltbedingungen (Graefe 2019).

Resilienz ist in diesem Sinne trotz aller Betonung der Notwendigkeit von Wandel, Transformation und Flexibilität ein grundsätzlich konservatives Konzept: es zielt auf die radikale Akzeptanz von unsicheren Umweltbedingungen. Dabei werden als „Umwelt“ durchaus auch gesellschaftliche Rahmenbedingungen gefasst; auch Machtverhältnisse, Interessengegensätze, Ausbeutung und Ungleichheit erscheinen wie Naturphänomene, die sich ebenso wenig willentlich ändern lassen wie der Ablauf der Jahreszeiten. Ändern oder verbessern lässt sich aber der Umgang mit und in diesen Verhältnissen – nämlich qua flexibler Anpassung bzw. Adaption. Längst hat sich Resilienz einen festen Platz im Vokabular internationaler Großorganisationen erobert. In der EU beispielsweise ist Resilienz zu einer „konzeptionellen Allzweckwaffe für jegliche Form der Problembewältigung“ (Syrovatka 2019, 602) geworden; hier werden unter der Überschrift Resilienz Lohnsenkungen, der Abbau von Arbeitnehmer*innenrechten, und die Kürzung von Staatsausgaben legitimiert.

Resilienz als psychologisches und politisches Programm zielt, kurz gesagt, nicht auf Gleichheit, Freiheit oder Emanzipation, sondern auf die Akzeptanz des Unvermeidlichen. Oder anders gesagt: Wo von Resilienz die Rede ist, wird der alte 68er-Slogan „Wer sich nicht wehrt, lebt verkehrt“ auf den Kopf gestellt: Statt Widerstand und Kritik empfiehlt Resilienz die pragmatische Einpassung in die jeweils vorherrschende Normalität, wobei diese allerdings nicht als eingerostet und verkrustet, sondern als grundlegend brüchig, unsicher und unkalkulierbar aufgefasst wird. Die damit verbundene Denkfigur ist zudem auf den Begriff der Resilienz nicht angewiesen, sondern taucht auch dort auf, wo von Arbeitnehmer*innen mehr „Agilität“ eingefordert oder unbezahltes bürgerschaftliches „Engagement“ zur Reparatur der Folgen von Austeritätspolitiken mobilisiert wird (van Dyk/Haubner 2019). Es gilt schließlich auch dort, wo Corona- Risikogruppen dazu aufgefordert werden, sich freiwillig selbst zu isolieren (Graefe van Dyk et al. 2020). Die Logik der Resilienz regiert, wo strukturell produzierte Krisenerscheinungen durch Verhaltensmodifikationen so aufgefangen oder zumindest abgemildert werden sollen, dass eine grundlegende Systemtransformation vermieden werden kann. Resilienz zielt somit nicht auf sozialen Fortschritt, sondern auf den Systemerhalt, genauer gesagt: auf das Überleben des Systems – und nicht auf seine Überwindung.


 

Literatur:

Bröckling, Ulrich, 2018: Resilienz. Über einen Schlüsselbegriff des 21. Jahrhunderts, www.soziopolis.de/beobachten/kultur/artikel/resilienz/ (5.2.2021)

van Dyk, Silke/Graefe, Stefanie/Haubner, Tine, 2020: Das Überleben der Anderen: Altern in der Pandemie, in: Blätter für Deutsche und Internationale Politik, 5/2020, 33-36

van Dyk, Silke/Haubner, Tine, 2019: Gemeinschaft als Ressource? Engagement und Freiwilligenarbeit im Strukturwandel des Wohlfahrtsstaats, in: A. D. Baumgartner u. B. Fux (Hg.), Sozialstaat unter Zugzwang? Zwischen Reform und radikaler Neuorientierung, Wiesbaden: Springer VS, 259–280

Graefe, Stefanie, 2019: Resilienz im Krisenkapitalismus. Wider die Logik der Anpassung, Bielefeld: transcript

Syrovatka, Felix, 2019: Resilienz oder die Fortschreibung neoliberaler Krisenbearbeitung. Das Resilienzkonzept in der europäischen Arbeitsmarktpolitik, in: PROKLA. Zeitschrift für kritische Sozialwissenschaft, 197, 597–615


 

Der vollständige Text ist im August 2020 unter „Corona: Schlägt die Stunde der Resilienz?“ in der Zeitschrift „Luxemburg – Gesellschaftsanalyse und linke Praxis“ erschienen: https://www.zeitschrift-luxemburg.de/corona-schlaegt-die-stunde-der-resilienz/

 

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stefanie graefe

Stefanie Graefe ist Soziologin und Privatdozentin an der Friedrich-Schiller-Universität Jena. Bei transcript ist ihr Buch Resilienz im Krisenkapitalismus. Wider das Lob der Anpassungsfähigkeit erschienen.