Sofia Bempeza
Die Kunst der Nicht-Anpassung: Verweigerung und Widerstandstechniken in Zeiten der Pandemie
Die gegenwärtige (neoliberale) Rationalität erwartet, dass Kunst- und Kulturproduzent*innen angesichts der sogenannten Corona-Krise Resilienzkonzepte entwickeln, um somit weiterhin kreativ, innovativ und produktiv zu bleiben. Nun, in was genau sollen wir anpassungsfähig bzw. „resilient“ werden? Und mit welcher Geschwindigkeit sollen sich prekäre oder prekarisierende Kunst- und Kulturproduzent*innen in der Pandemie z.B. innerhalb einer stressvollen Lebensrealität erneut anpassen?
Wir erkennen die subjektivierten Arbeitsverhältnisse sowie die Flexibilitäts- und Mobilitätsanforderungen, die die Arbeitsweise im gegenwärtigen Kunstbetrieb schon längst charakterisieren: Künstler*innen sind an atypische Arbeitsverhältnisse gebunden, die einerseits eine relative Unabhängigkeit bzw. Autonomie der Kunst suggerieren und andererseits von der Autonomie des kreativen Kapitals determiniert sind. Die Auseinandersetzung mit den Zuständen der neoliberalen Produktivität und den institutionellen Gegebenheiten des Kunstfelds (Produktion, Erforschung, Vermarktung und Vermittlung von Kunst) ist eine Praxis, die institutionskritische Projekte sowie engagierte Kunst- und Kulturproduzent*innen bereits erproben. Die Pandemie kommt nun als ein Vergrößerungsglas daher, durch das um so dringender die Lebens- und Arbeitsbedingungen von Künstler*innen und Kulturproduzent*innen in institutionellen und para-institutionellen Räumen auf neuer Basis verhandelt werden sollen. Anders gesagt, die Effekte der Pandemie intensivieren die Forderungen (z.B. wages for art workers, Grundeinkommen) gegen die strukturelle Prekarisierung im Kunst- und Kulturbetrieb.
Den tiefgreifenden Transformationen des sozialen und politischen Lebens angesichts der Pandemie steht die Euphorie der hyperaktiven Vernetzung und der Weiterentwicklung von Digitalisierung im Kunst- und Kulturkontext gegenüber. Berater*innen in Museen und Kunstinstitutionen sowie Bildungseinrichtungen versuchen den Wettlauf um die neueste Technik zu gewinnen und die damit einhergehende Verbindung von kreativem Mensch und Webtechnik in höchster Eile zu kapitalisieren. Doch statt der Hyperdigitalisierung des kreativen unternehmerischen Subjektes wäre es wichtiger vor allem Praktiken der digitalen Commons, der kollektiven Sorge und der praktischen Solidarität sowie transversale Widerstandstechniken zu stärken. Insbesondere Praktiken des Kunststreiks – sei es durch künstlerische bzw. ästhetische Konzepte oder durch Formen des kulturellen Aktivismus – zielen sowohl auf Brüche mit zementierten institutionellen Strukturen als auch auf die Konstituierung neuer Geflechte ab, die institutionelle policies (durch spezifische Forderungen) durchaus verändern können. Hierbei ist es entscheidend, eine Zeit des Retardierens in der Pandemie zu beanspruchen. Anders gesagt, eine Zeit der temporären Adraneia (Inaktivität), in der die unmittelbare Anpassung der Kunstproduktion an die neuen Bedingungen nicht im Vordergrund steht, sondern primär ein kollektives Denken-Fühlen entwickelt wird: Dieses kann als Sorge- und Widerstandspraxis der bestehenden Ungleichbehandlung im Kunst- und Kulturfeld entgegen gesetzt werden.
Sofia Bempeza ist Künstlerin und Kunst-/Kulturtheoretikerin, Autorin des Buchs Geschichte(n) des Kunststreiks (Transversal, 2019).
http://sofiabempeza.org